Von Leichtigkeit und Mitleid

Mitleichtigkeit

Neulich hat mich ein Magen-Darm-Virus erwischt. Das war nicht schön. Die Sache kam plötzlich und heftig und rüttelte mich ordentlich durch. Eine ganze Nacht lang übergab ich mich im Stundentakt, um am nächsten Tag mit Fieber, Bauch- und Gliederschmerzen flach zu liegen. Ich jammerte ziemlich rum - wegen der entsetzlichen Übelkeit, weil ich die Geburtstagsparty meiner besten Freundin verpasste und weil sich die dringend nötige Vorbereitung auf einen wichtigen Termin nun in die eh schon volle Folgewoche drückte – und bot offensichtlich ein erbarmungswürdiges Bild. Eine Welle von Mitleid schwappte mir entgegen. Aus dem Telefon in der Stimme meiner Freundin und ganz direkt, in den Blicken meiner Tochter und meines Freundes. Wäre ich nicht viel zu erschöpft gewesen, hätte ich vielleicht darüber nachgedacht, inwieweit Mitleid unser Leid tatsächlich lindern kann. Was ist Mitleid überhaupt? Ist es geeignet, uns die Dinge leichter machen, ja Leichtigkeit zu verschaffen?

In der Geschichte der Philosophie wurde das Mitleid vielfach betrachtet und zu deuten versucht. Aristoteles beschreibt es als das Nachempfinden der Gefühle von anderen, das auf reinigende Weise etwas mit der eigenen Person macht. Für Hume und Smith spielen Einbildungs- und Vorstellungskraft, also das eigene Bild vom Leid des anderen, eine besondere Rolle dabei. Und Schopenhauer hält Mitleid für das Gefühl, das alle Menschen miteinander verbindet und die Triebfeder moralischen Handelns ist. Keiner der großen Denker bringt Mitleid in Verbindung mit Erleichterung, wohl aber mit der Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Und bei allen Differenzen in der Betrachtung sind sich die Philosophen einig, dass Mitleid ein nicht nur selbst empfundenes, sondern ein buchstäblich eigenes Gefühl ist. Es bezieht sich zwar auf das Leid eines anderen, ist aber als persönliches Empfinden gegenständlich. Streng genommen macht Mitleid damit also erstmal gar nichts leichter, im Gegenteil: Es sorgt für ungute Gefühle bei denen, die sie per se nicht haben müssten. In meinem Fall sorgte es außerdem für noch mehr schlechte Gefühle bei mir: Der traurige Blick meiner Tochter, der besorgte Ton meiner Freundin lagen mir als zusätzlicher Klumpen Schuldgefühle im Magen. Dazu kam mein peinliches Selbstmitleid, befeuert durch bedauernde Worte und die zugewandte Pflege meiner Familie. Wenn ich das so offensichtlich nötig hatte, dann musste es mir wirklich dreckig gehen. Wäre es mir nicht etwas zu polemisch, würde ich Nietzsche zuzustimmen, wenn er sagt, dass Mitleid zur Vermehrung des Leidens in der Welt führt.  

Also sage ich es nicht so drastisch, bin aber überzeugt, dass es nicht das Mitleid meiner Lieben war, das mich hat aufatmen und ruhiger schlafen lassen. Es war weder das geteilte Leid, das laut Volksmund halbes Leid ist, noch waren es die guten Taten als Ausdruck einer wie auch immer gearteten Mitleidsethik.

All das ist angenehm, wenn es einem schlecht geht. Es tut gut, umsorgt zu werden und zu wissen, dass die anderen da sind. Es ist schön, fühlende Wesen um sich zu haben, die sich erbarmen. Aber es erleichtert nichts. Mitleid kann keine Leichtigkeit erschaffen, weil es selbst „schwer“ ist. Der Mitleidende hat gewissermaßen selbst alle Hände voll zu tun mit seiner eigenen Empfindung. Dazu kommt, dass Mitleid, wie es die Philosophin Käte Hamburger beschreibt, unpersönlich ist.  Im Unterschied zu Liebe oder Freundschaft konzentriert sich Mitleid eben ausschließlich auf das Leid des Anderen, das Leid ist intentionaler Gegenstand dieses Mitgefühls. Mitleid betrachtet damit nur einen Ausschnitt, nicht aber die Person als solche und in ihrer Ganzheit.

Genau das aber kann die Dinge wirklich leichter machen: Die Begegnung mit der ganzen Person, gerade wenn diese ein Bild des Jammers abgibt. Leichter kann es werden, wenn eben nicht nur unsere Last und unser Leid gesehen werden, sondern auch der restliche Mensch. Leichtigkeit entsteht somit weniger durch Mitleid als durch   „Mitleichtigkeit“. Leichtigkeit kann entstehen durch einen freundschaftlichen, liebenden Blick, der die Zumutung des Leids wegsteckt. Einen insofern persönlichen Blick, als er durch das Elend hindurch auf den Menschen schaut und ihn in seiner Würde, Schönheit und Bedeutung erkennt und wahrnimmt. Das Hilfreiche und Erleichternde im Für mich da sein meiner Lieben war denn auch, dass sie in mir nicht nur die Leidende gesehen haben. Sondern auch die Mutter, die unter anderen Umständen ganz passabel funktioniert. Oder furchtbar meckern kann. Sie haben die Frau gesehen, die ihre Arbeit machen will und die Freundin, die gerne mit Freunden feiert. Und sie haben mich nicht lächerlich gemacht, als ich irgendwann mit ungewaschenen Haaren, Augenringen und Spucke auf dem T-Shirt um die Ecke geschlichen kam. Sie haben geschmunzelt. Und mir geholfen, über mich selbst zu lachen. Das im Übrigen, war vermutlich das Erleichterndste überhaupt.


Alles zum Thema "Kolumnen, Leichtigkeit" lesen.