Neulich hatte ich zum ersten Mal wegen des Fernsehprogramms Streit mit meinem Freund. Ich gestehe, dass wir gerne nach einem langen Tag aufs Sofa sinken und uns durch die Programme zappen. Dabei bleiben wir auch bei Shows wie DSDS oder schlimmeren Trash-Formaten hängen. Es ist die Faszination des Schrecklichen, gepaart mit abendlicher Trägheit, die uns dort hält. Anders ist das beim Dschungelcamp. Da schalte ich bewusst ein. Mein Freund aber verachtet diese Sendung. Als es letztens wieder soweit war, stellte er nicht nur meinen Intellekt in Frage, sondern warf mir vor, meine Menschenfreundlichkeit zu verraten. Das saß. Denn natürlich ist mir klar: Das Dschungelcamp ist nicht das literarische Quartett und hat ein fragwürdiges Konzept. Shows wie diese leben weniger vom besonderen Talent oder der Heldenhaftigkeit ihrer Kandidaten als von ihren Verlierern. Von all jenen, die schon gescheitert sind und sich nun lächerlich machen im Ringen nach erneutem Ruhm und Erfolg. Und während ich zähneknirschend die Fernbedienung aus der Hand gab, fragte ich mich: Warum sind wir Verlierern gegenüber eigentlich so gnadenlos? Und wie könnte ein freundlicher Umgang mit Misserfolg und Scheitern, mit Makeln und Fehlern aussehen?
Allen Fernsehformaten, die mit den Verlierern spielen, zum Trotz bin ich davon überzeugt, dass unser gesellschaftliches Interesse in erster Linie auf Gewinner und ihre Erfolge gerichtet ist. Sie bieten die entscheidende Identifikationsfläche, denn Erfolg verheißt Zufriedenheit und Lebensglück. Wer wünschte sich das nicht? Weil sie schmerzhaft ist, wird die Option des Verlierens ausgeblendet. Wo das nicht möglich ist, wird sie gerne personalisiert. Wer es nicht schafft, ist selber schuld. Unterstützt und verstärkt wird diese Annahme durch die Gleichung „Erfolg entsteht durch Leistung“.
Auch wenn in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen der Eindruck erweckt wird, Erfolg verliere an Relevanz und Scheitern würde salonfähig – ich fürchte, der Schein trügt.
Neuere Managementansätze etwa propagieren das möglichst frühe Scheitern. Gut an dieser Fehlerfreundlichkeit ist sicher, dass Fehler jetzt eingeräumt werden dürfen – letztlich sind sie aber auch nur Mittel zum Zweck. Nämlich dem, schneller zum – genau – Erfolg zu kommen.
Ansätze wie New Work oder Bewegungen wie Body-Positivity hinterfragen Definitionen von Erfolg. Sie fordern Sinnhaftigkeit statt Gewinnmaximierung oder versuchen, neue (Schönheits-) Maßstäbe zu setzen. Was grundsätzlich gut und wichtig ist, führt zu einer Art Demokratisierung des Erfolgs. Jeder soll irgendwie erfolgreich sein können. Verlieren aber ist nach wie vor keine Option. Und der Erfolg ist abhängig von der Blase, in der man sich bewegt. Verlierer ist vielleicht nicht mehr, wer wenig Geld auf der Bank oder unreine Haut hat, dafür aber, wer kein „Herzensbusiness“ betreibt oder sich selbst nicht zauberhaft findet.
So sehr ich die genannten Ansätze schätze – einen wirklich freundlichen Umgang mit Misserfolg und Makel garantieren sie nicht. Auch sie machen Erfolg zum Maß aller Dinge. Und auch sie verführen dazu, einen Zusammenhang zwischen Erfolglosigkeit und Charakterschwäche herzustellen. Wer „es“ nicht schafft, ist zu schwach, zu faul, zu unentspannt, noch nicht weit genug in der persönlichen Entwicklung.
Ein freundlicher Umgang mit Misserfolg wäre für mich, das Urteil über den Charakter eines Menschen von seinen Misserfolgen zu entkoppeln. Helfen könnte, ein wenig Demut gegenüber dem Leben an den Tag zu legen und zu verstehen, dass uns allen durch kleine Fehler oder Missgeschicke großes Unheil widerfahren kann. Die Möglichkeit des Hereinbrechens von so etwas wie Schicksal verbindet uns Menschen. Freundlich wäre also, sogenannten Verlierern ein mitfühlendes „Pech gehabt“ zuzugestehen statt sie mit Labeln wie „Loser“, „Feigling“ oder „Dummkopf“ zu versehen. Man ist kein schlechter Mensch, nur weil man erfolglos ist. Es ist freundlich, den Wert einer Person unabhängig von der Frage nach ihrem wie auch immer definierten Erfolg oder Misserfolg zu betrachten. Vor aller Leistung und trotz aller Fehler daseinsberechtigt zu sein, wäre menschenfreundlich. Ein Konzept dafür gibt es – es nennt sich Menschenwürde.
Was das Dschungelcamp betrifft: Ich nehme mir vor, im nächsten Jahr abzuschalten, wenn es läuft. Und falls mir das nicht gelingt, hoffe ich auf ein Umfeld, das freundlich mit meinem Misserfolg umgeht.