Abrüstungsversuche

Warum Lächeln nur teilweise freundlich ist

Ich habe eine Nachbarin, die sich in regelmäßigen Abständen über den Krach beschwert, der angeblich durch Möbelrücken „ständig“ von uns ausgehe. Zu meiner Verteidigung: Unsere Wohnung, die über der der Nachbarin liegt, ist beruflich bedingt teilweise wochenlang verwaist und definitiv schieben wir abends keine Schränke durch die Gegend. Allerdings ist das Haus sehr hellhörig, und offenbar kommt das Geräusch barfüßigen Durchquerens des Wohnzimmers einem Möbelrücken gleich. Da ich keinen Ärger mit Nachbarn möchte, bedauerte ich bei den Beschwerden an unserer Wohnungstür stets die Störung und bat freundlich um Entschuldigung. Und um meinen guten Willen zu unterstreichen und auch, um die immer so griesgrämig dreinschauende Dame zu entwaffnen, grüßte ich im Treppenhaus weiterhin freundlich und lächelte dabei. Das ist mir jetzt vergangen. Beim letzten Besuch schnauzte sie mich an, ich solle gefälligst leise laufen, dann könnte ich mir auch mein dämliches Lächeln sparen. Ich blieb ratlos zurück. Und mehr als die Frage, wie ich möglichst geräuschlos vom Sofa ins Bett komme beschäftigte mich, warum Freundlichkeit und Lächeln in diesem Fall so wenig geholfen hatten. Ist ein Lächeln vielleicht doch nicht immer so entwaffnend, wie man sagt?

Grundsätzlich gilt Lächeln als Ausdruck von Freude und Freundlichkeit, zeugt von Offenheit und Zugewandtheit. Als universelles Signal unter Menschen steht es für entspannte Kommunikation, hat aggressionshemmende Wirkung und kann tatsächlich negative Spannungen auflösen – sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

Zum einen muss das Lächeln echt und glaubhaft sein. Das leuchtet ein. Wir alle kennen das nervige Dauerlächeln bei übertrieben freundlichen Verkäufern. Das menschliche Gehirn ist gut in der Lage, ein echtes von einem aufgesetzten Lächeln zu unterscheiden. Echtes, freies Lächeln kommt von Herzen. Damit das funktioniert, muss es zur inneren Verfasstheit des Lächelnden passen.

Hier liegt vermutlich mein erster Fehler: Ich wollte zwar nett zu meiner Nachbarin sein, wollte um jeden Preis Streit vermeiden und signalisieren, dass ich ihr nichts Böses will - gleichzeitig fühlte ich mich aber zu Unrecht angegriffen und vor allem ohnmächtig. Ich werde weiter durch mein Wohnzimmer laufen, denn es ist hochgradig unwahrscheinlich, dass ich demnächst das Schweben lerne. Mein Lächeln war also von zwiespältigen Gefühlen getragen und dürfte ein wenig gequält gewirkt haben.

Doch selbst wenn es mir gelungen wäre, wirklich echt zu lächeln: Lächeln kann nur als Ausdruck von Freundlichkeit verstanden werden kann, wenn es auch zur äußeren Situation passt. Und die wird in der Interaktion mit anderen eben auch vom Empfänger definiert. Der Versuch, Angriffen lächelnd zu begegnen, wirkt in eskalierten Konflikten daher schnell als Brandbeschleuniger. Es wird nicht als Ausdruck von Freundlichkeit verstanden, sondern als Provokation und das aus gutem Grund: Es verkennt die Situation des Gegenübers. Wer einen aufgebrachten Menschen anlächelt, übergeht dessen Wut. Man baut gerade keine Brücke zum anderen, sondern schafft durch die Missachtung des Ärgers noch mehr Distanz. So gesehen war mein Lächeln wirklich dämlich: Ich habe die Situation völlig falsch eingeschätzt. Was für mich eine Kleinigkeit ist, die sich von selbst erledigt, wenn man weiß, dass sie nicht absichtlich geschieht, scheint für meine Nachbarin ein echtes Problem zu sein. Sie will sich nicht entwaffnen lassen, sondern das Problem bekämpfen. Und das bin ich in ihrer Welt. Lächeln wirkt also nur dann entwaffnend, solange jemand noch bereit ist, die Waffen zu strecken.

Mein Eindruck ist, dass ich Freundlichkeit als Mittel der Konfliktlösung in meinem Nachbarschaftskonflikt ganz anders denken muss.

Freundlichkeit kann, muss aber nicht immer durch Lächeln zum Ausdruck kommen. Freundlichkeit kann darin bestehen, eine offene, klare Haltung - auch körperlich – einzunehmen. Dazu gehört, Vorwürfe zu überhören und das Bedürfnis meiner Nachbarin nach Ruhe ernst zu nehmen. Gleichzeitig darf ich mir erlauben deutlich zu machen, was ich zur Befriedigung dieses Bedürfnisses beitragen kann: Sehr wahrscheinlich sehr viel weniger als z.B. ein Päckchen Ohropax.

Und damit ich ruhig bleibe, wenn es zur Klarheitsoffensive kommt, habe ich mir vorgenommen, mich selbst zu entwaffnen: Ich lächle mich künftig selbst mehr an.


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