Wunderbares Fürmittel

Von Liebe und Hass

Mein Partner hat eine Ex-Frau. Das Verhältnis zu ihr ist, gelinde gesagt, angespannt. Das zeigt sich nicht nur daran, dass er (und ich auch!) hohen Blutdruck bekommt, wenn mal wieder Post von ihr ins Haus flattert. 

Auch die Kinder haben verstanden, dass hier eine Beziehung gewaltig in die Brüche gegangen ist. Sie reden davon, dass „der Eisblitz“ eingeschlagen ist und übermitteln unverhohlen, dass Mama sagt, sie hasse Papa. Aus der großen Liebe mit gemeinsamen Lebensentwurf, Ehe und drei Kindern ist tiefste Abneigung geworden. Mit eisigem Schweigen, Anwälten und neuen Partnern, die die gegenseitige Abneigung nicht nur fühlen, sondern teilen. Liebe hat sich scheinbar ins Gegenteil verkehrt. Sie ist zu Hass geworden. Doch wenn ich diesem schmerzvollen Gefühl nachgehe, komme ich nicht umhin zu fragen: Was ist Hass eigentlich genau? Ist er tatsächlich das Gegenteil von Liebe? Und vor allem: Wie kann man ihn heilen? Ist Liebe das adäquate Gegenmittel?

Gemeinhin gilt Hass als intensives Gefühl der Abneigung und Feindseligkeit und als der Gegenpol zur Liebe. So ähnlich jedenfalls beschreiben es Wikipedia und der Duden. Hass führt häufig zur Aggression. Er ist verwandt mit Wut und Zorn, zwei Begierden, die auf Zerstörung abzielen. Er ist eine Leidenschaft für etwas, das man als schlecht bewertet. Er ist eine Begierde, die an genau das fesselt, was einem schmerzvoll und unangenehm ist und führt damit paradoxerweise mitten hinein in eine Beziehung zu etwas oder jemandem, der einem zutiefst zuwider ist. Als Leidenschaft ist Hass energievoll und verleiht Kraft. Er macht aber auch blind und vergiftet auf Dauer. Und darin ist er der Liebe gar nicht so unähnlich. 

Auch Liebe macht blind, zumindest im Zustand der ersten großen Verliebtheit. Gleichzeitig beflügelt sie und setzt ungeahnte Kräfte frei, die langfristig lebensbedrohlich wären, weil sie einer hormonellen Stressreaktion des Körpers gleichen. Und auch neurologisch betrachtet aktiviert Hass das gleiche Kerngebiet des Großhirns wie Liebe.

Vor diesem Hintergrund tue ich mich schwer damit, Hass als das Gegenteil von Liebe zu betrachten. Die Art des Gefühls ist sehr ähnlich, beides ist hochenergetisch. Liebe und Hass erscheinen mir weniger als Gegensätze, eher als Komplizen. Wie zwei Seiten einer Medaille. Beides ist Leidenschaft und Begierde. Beides hat seine Quelle im Verhältnis zu sich selbst. Ihr Unterschied liegt in ihrer Stoßrichtung oder anders gesagt: In ihrer jeweiligen Intention.

Liebe ist die Begierde, die das Leben will. Sie ist das Phänomen, dem das Ja-sagen gelingt, das Ängste überwindet und damit vom Ego lassen und uns in Kontakt mit unserem Kern, unserer Seele bringen kann.

Liebe entlässt ins Leben. Sie befreit für das Leben, weil sie imstande ist, Verbindung aufzunehmen und zu integrieren – auch das Schmerzhafte und Unschöne.

Wenn Liebe das Ja ist, ist Hass das Nein. Er ist die Begierde, die den Tod will von dem, was uns Angst macht, was unser Ego anficht. Er ist die Begegnung mit unseren hässlichen Seiten. Er ist der Drang, diese immer wieder anzuschauen, weil wir sie wegmachen wollen und der so dafür sorgt, dass wir an sie gefesselt, unfrei sind.

Wenn Liebe die große Überschrift für das Lebensbejahende und Befreiende ist, ist Hass die große Überschrift für alles Lebensverneinende und Befangende.

Doch was kann das überwinden?

In heroischen Geschichten ist es immer die Liebe, die am Ende siegt und den Hass quasi „todliebt“. Liebe ist dann das Gegenmittel gegen Hass. Wenn ich aber ernst nehme, dass Liebe ja sagt, ist Gegenmittel kein passender Begriff. Liebe sprengt Grenzen, hebt Polaritäten auf, versucht, zu integrieren – auch die hässlichen Anteile. Sie ist per se nicht gegen. Liebe will Hass nicht wegmachen, sie will für ihn da sein, ist ein „Fürmittel“. Sie will integrieren. Und Integration ist nichts anderes als Vergebung. Wenn es uns gelingt, zu vergeben, allen voran uns selbst, kann Hass heilen. Wenn es uns gelingt, unsere grässlichen Seiten zu akzeptieren, müssen wir sie weniger angstbesetzt anstarren, uns weniger von ihnen fesseln lassen. Wir gewinnen dann mehr Raum, um mit unserem Inneren, unserer Seele in Verbindung zu treten. Und können Angriffen auf das, was wir glauben darstellen zu müssen, viel gelassener begegnen. Hass kann durch Vergebung geheilt werden. Und Vergebung erwächst aus einer Haltung der Liebe. Aus Liebe zum Leben und zu uns selbst.

Ich denke, ich sollte mich fragen, welche hässlichen Seiten von mir Vergebung gebrauchen könnten. Nicht nur im Interesse meines Blutdrucks. Vor allem aus Liebe zur mir und zum Leben.


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