Die schönen Schwestern der Liebe 

Warum wir weniger lieben dürfen

Neulich abends vor dem Fernseher wurde ich in einen regelrechten Liebesrausch gerissen. Das war weitaus unangenehmer, als Sie vielleicht denken. Wohin ich auch schaltete, wurden mir Liebeserklärungen entgegengeschleudert. Ich konnte nicht anders als zu lernen: Die einen lieben Lebensmittel, die anderen love to entertain me. Eine Fast-Food-Kette will mich fett füttern, weil sie es liebt, und als Fußballfan muss ich wissen, dass Liebe keine Liga kennt. Und in den Shows, durch die ich mich zappte, liebten die Mitwirkenden, wie die eine aus der Runde singt und wie ein anderer sich schminkt, sie liebten Männer mit Glatze und Frauen mit Tattoos, sie liebten ihre Hobbies, ihre Haustiere, ihre Urlaubsorte und sogar ihre Fehler und Marotten. Selbstverständlich dürfen sie das und eigentlich können wir uns ja glücklich schätzen, wenn so viel Liebe in der Luft liegt. Trotzdem stelle ich fest: Es behagt mir nicht (um nicht zu sagen: Ich liebe das nicht.). Und ich frage mich, ob die allüberall wabernde Liebe uns vielleicht sogar dabei im Weg stehen könnte, ganz einfach zu lieben.

Aber was genau ist eigentlich mein Problem mit diesem Zuviel an Liebe?

Zum einen geht es mir um die immer wieder gegebenen Liebesversprechen. Mich stören weniger die ohnehin nicht glaubwürdigen Werbesprüche, sondern eher die unzähligen Liebesbekundungen, wie sie in der Alltagssprache zum Ausdruck kommen. Für mich ist Liebe eine große Sache. Und ich finde, wir sollten sie nicht leichtfertig zusagen. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Verhältnisse sich ändern, dass wir aus der Liebe fallen und unser Versprechen nicht halten können. Auch wenn es nur um Kleinigkeiten geht: Jedes kleine Mal bricht sogenannte Liebe weg, werden Erwartungen enttäuscht. Dazu kommt, dass, gerade durch Liebesschwüre in der Werbung, die tiefempfundene Zuneigung zu einem anderen Menschen auf eine Stufe gestellt wird mit der Freude an einem Konsumprodukt. Was werbepsychologisch gesehen das Produkt aufwerten soll, wertet aus meiner Sicht jedoch die Liebe als soziales Ereignis eher ab. Und so befürchte ich, dass die Inflation an Liebesbeteuerungen den Wert dieses wunderbaren Etwas, das Liebe sein kann, verfallen lässt. 

Paradoxerweise wird das Phänomen Liebe gleichzeitig in ungesunder Weise aufgeladen.

Ohne Verschwörungstheoretikerin zu sein glaube ich, dass all die Liebesbekundungen Teil einer Erzählung sind, die uns weismachen will, dass das Leben nur im Superlativ wertvoll und lebenswert ist. Und Liebe ist nun einmal der Superlativ aller angenehmen Gefühle. Dauerhaft den Superlativ zu nutzen bedeutet aber, permanent hochtourig zu fahren und in Extremen unterwegs zu sein. Das ist nicht nur anstrengend, sondern auch risikoreich. Superlative führen leicht in die Polarisierung. So gehört es wohl zum guten Ton, alles zu lieben und sofern wir nicht lieben können, sind wir gehalten, die Dinge zu ändern oder zu gehen. Der Spruch „Love it, change it or leave it“ ist Ausdruck einer solch alternativlosen Weltsicht. Als ginge es ausschließlich um unsere eigenen Vorstellungen! Auch bei so banalen Fragen wie „Bist Du Team Frühaufsteher oder Team Nachteule?“ wird die Polarisierung deutlich wird. Man muss sich entscheiden, was man liebt. Wer zum einen gehört, kann (und darf) nicht auch das andere sein. Der Superlativ hat einen Hang zum Entweder-Oder. Die nicht bzw. weniger geliebten Optionen werden kategorisch ausgeschlossen. Und diese Form von Ausschluss ist für mich das genaue Gegenteil von Liebe.

Wenn wir Liebe als integrale Haltung einüben wollen, könnte es helfen, etwas sparsamer mit dem Superlativ umzugehen und die feinen Unterschiede in unseren Empfindungen hervorzuheben. Wir müssen nicht alles lieben. Stattdessen könnten wir uns in Akzeptanz üben und in der Annahme auch unschöner Gegebenheiten (ohne sie zu changen oder zu leaven). Wir dürfen Menschen wohlgesonnen sein und ihnen unsere Zuneigung ausdrücken. Wir können Dingen wohlwollend gegenüberstehen, manches bewundern, für etwas schwärmen oder uns begeistern lassen. Wir können eine Affinität haben zu etwas oder neugierig sein. Wir können Menschen freundlich und herzlich begegnen, sie respektieren oder wertschätzen. Auf vielfältige Weise können wir unsere guten Absichten zum Ausdruck bringen. Die schönen Schwestern der Liebe haben mehr Beachtung verdient.

Wir müssen dabei weder etwas versprechen noch uns komplett hingeben oder tiefgründigst fühlen. Das finde ich entlastend. 

Wenn es uns gelänge etwas besser zu differenzieren und den Verwandten der Liebe mehr Raum in unserem Leben zu schenken, gäbe es nicht nur deutlich weniger Drama. Ich bin überzeugt, die Liebe würde sich heimlich, still und leise in unseren Herzen breit machen. Und dann könnten wir ganz einfach lieben.


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