Bei einem Restaurantbesuch wurde ich neulich unfreiwillig Zeugin einer Auseinandersetzung. Am Nachbartisch saß eine Familie: Eine Frau mit ihrem ca. einjährigen Sohn und ihre Eltern. Der Knirps war ziemlich erkältet. Er hustete und keuchte die ganze Zeit. Die Großeltern waren besorgt, die Mutter weniger. Das Gespräch kreiste zunächst um mögliche Therapien für den Kleinen – von frischer Luft und Brust einreiben bis zum Verabreichen von Antibiotika wurde alles in Betracht gezogen. Die Großeltern waren offenbar eher schulmedizinisch unterwegs und landeten schließlich auch bei der Vorsorgethematik, dem Impfen. Und hier wurde das Gespräch so laut, dass es schon einen Gehörschutz gebraucht hätte, wenn ich nichts hätte mitbekommen sollen. Um es kurz zu machen: Die Großeltern waren Impfbefürworter, die junge Mutter strikte Impfgegnerin. Es ging hin und her und gipfelte in dem Ausruf des Vaters: „Du machst es Dir einfach nur leicht! Das ist leichtsinnig!“ Die Tochter schrie zurück „Was hat das denn bitteschön mit leicht machen zu tun?“ Ich wusste nicht genau, wie diese drei Sätze gemeint waren, aber in mir tauchte eine Frage auf, die meine Gedanken lauter werden ließ als das Geschrei am Nachbartisch: Ist es tatsächlich leichtsinnig, sich die Dinge leicht zu machen? Was ist eigentlich Leichtsinn? Und: Hat Leichtsinn vielleicht etwas mit Leichtigkeit zu tun?
Der Duden erklärt Leichtsinn als einen Mangel an Überlegtheit und Vorsicht. Synonyme sind z.B. Fahrlässigkeit oder Unachtsamkeit. Wer leichtsinnig handelt, denkt in der Regel nicht über mögliche Risiken nach oder Konsequenzen seines Verhaltens. Stattdessen wird Vieles, vor allem Unangenehmes oder Belastendes – sprich: Schweres - zugunsten anderer Aspekte ausgeblendet. Und so ist Leichtsinn eine zwiespältige Angelegenheit: Einerseits verantwortungslos, andererseits eine Gabe. Nämlich die, ganz im Heute sein und sich fokussieren zu können. Diese Fähigkeit im Hier und Jetzt zu sein, sich in den Flow zu geben, zählt zu den wesentlichen Voraussetzungen für Leichtigkeit. Leichtsinn und Leichtigkeit haben also durchaus etwas miteinander zu tun. Sie haben gewissermaßen gemeinsame Verwandte. Sorglosigkeit und Gedankenlosigkeit z.B. sind ihre Geschwister. Dinge nicht zu bedenken und sich von Sorgen frei zu machen hat etwas Entlastendes. Über diesen Effekt scheint Leichtsinn die Dinge tatsächlich (erstmal) leicht zu machen. Leichtsinn scheint tatsächlich immer ein Stückchen Leichtigkeit zu beinhalten.
Doch gilt das auch im Umkehrschluss? Sind wir zwingend leichtsinnig, wenn wir uns die Dinge leicht machen? Beinhaltet das Sich-leicht-machen immer auch ein wenig Leichtsinn?
Etwas leicht zu machen bedeutet, aktiv zu versuchen, ein Gewicht loszuwerden, etwas abzuladen oder die Schwere zu ignorieren. Dieses Weglassen, Wegmachen, Ausblenden ist der leichtsinnige Anteil daran. Hier besteht das Risiko, Dinge zu übersehen, an Umständen etwas ändern zu wollen, statt zu hinterfragen, was unser Anteil an der Schwere ist oder Mitmenschen etwas aufzuladen, das sie nicht tragen können. Sich die Dinge leicht zu machen birgt zumindest das Risiko leichtsinnigen Verhaltens.
Trotzdem meine ich, muss Leichtigkeit nicht immer mit Leichtsinn verbunden sein, im Gegenteil. Ich glaube, dass Leichtigkeit sehr verantwortungsvoll gelebt werden kann. Denn man kann Leichtigkeit nicht nur herstellen, indem man etwas leicht macht. Man kann Dinge auch leicht nehmen.
Etwas leicht zu nehmen bedeutet, nicht nur anzuerkennen, dass eine Sache schwierig und belastend ist, sondern sie auch so sein zu lassen und nach Wegen zu suchen, das Schwere zu heben. Leicht nehmen ist die Handlung an uns, leicht machen die Handlung an der Sache. Das leicht machen verführt dazu, mit dem Gewicht auch die eigene Verantwortung anderswo abzuladen. Etwas leicht zu nehmen bedeutet, das Gewicht der Verantwortung selbst zu schultern und es nicht anderen aufzutragen. Unannehmlichkeiten begegnen uns im Leben permanent. Wir können sie beklagen oder so tun, als gäbe es sie nicht. Doch sie lösen sich nur auf, wenn wir sie bewältigen, d.h., wenn wir sie zu nehmen wissen. Das kann ganz unterschiedlich ablaufen. Über die innere Auseinandersetzung oder im Gebet, mit Hilfe von Freunden, in einer Therapie oder, indem man sich neue Wege sucht, um den Schwierigkeiten fortan nicht mehr zu begegnen. Wenn es gelingt, den Sorgen dabei unbekümmert, ins Gesicht zu schauen und nichts leichtfertig wegzuwischen, stellt sich Leichtigkeit ein. Leicht nehmen verlangt nach leichtem Sinn, einem leichten Gemüt, das unbeschwert und lebenswillig anpackt. Leichtsinnig ist es so verstanden aber keineswegs. Und was die Familie vom Nachbartisch betrifft: Die war ganz in ihrem Hier und jetzt. Hat das Drumherum ausgeblendet. Und vermutlich nicht bedacht, dass daraus eine Geschichte werden könnte. Ein wenig leichtsinnig vielleicht. Aber ein schöner Denkanstoß für mich.