Vom Führen mit Sehnsucht

Nicht S.M.A.R.T., aber smart

In keinem Führungskräfteseminar kommt man an Ihnen vorbei: Den Zielen. Ob man Projekte planen, Mitarbeitergespräche führen oder Ergebnisse kontrollieren will – stets begleitet einen die Frage nach dem dazu gehörigen Ziel. Meist wird dann viel Zeit und Energie darauf verwendet, „richtige“, sprich „smarte“, Ziele zu formulieren und zu vereinbaren – in der Hoffnung, dass sie motivierend wirken und die Mitarbeiter dazu bewegen mögen, die gewünschte Leistung zu erbringen. Umso enttäuschender für die betroffenen Personen finde ich es, dass Ziele keineswegs immer so motivierend wirken wie erhofft. Und umso verwunderlicher, dass das Konzept des „Führens mit Zielen“ nach wie vor so gefragt ist. Ich schlage vor, ein anderes Konzept zu testen und es statt des „Führens mit Zielen“ mal mit „Führen mit Sehnsucht“ zu versuchen.

Zugegeben, Sehnsuchtsziele sind nicht S.M.A.R.T.

Sie sind nicht specific (spezifisch), sondern zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie eher vage Entwicklungsaufgaben und Grundmotive beschreiben. Eben weil sie so vage sind, sind sie auch so gut wie nicht measurable (messbar). Sie sind definitiv nicht achievable (erreichbar). Sehnsucht spielt ja gerade mit dem Gedanken des Unerreichbaren, mit der Utopie. Sehnsuchtsziele sind dementsprechend wohl selten realistic (realistisch) und noch weniger time-bound (terminiert).

Trotzdem entfalten sie immense Wirkung. Sie bringen Menschen dazu, über sich selbst hinaus zu wachsen. Ich halte sie für die starken Treiber im Hintergrund. Drei Gründe sprechen aus meiner Sicht dafür, als Führungskraft auf die Sehnsüchte der Mitarbeiter zu horchen:

Sehnsüchte sind ein kraftvoller Antrieb, denn sie verweisen auf tief liegende Bedürfnisse, die es zu stillen gilt. Auf der Suche nach Vervollkommnung, nach dem Füllen von Leerstellen im Leben, entfalten Menschen ungeahnte Kräfte. Es erscheint mir hilfreich, diese Bedürfnisse zu kennen und als Treiber ernst zu nehmen. Weniger, um sie als Führungskraft befriedigen zu können, sondern um den Mitarbeiter als Menschen zu sehen und zu verstehen. Nur so kann Beziehung aufgebaut werden und nur so wird es möglich, einander zu folgen.

Die Sehnsucht als Streben nach Vervollkommnung verleiht dem Handeln auch Sinn. S.M.A.R.T.e Ziele hingegen tun das nicht. Sie sind flüchtig, mit ihrem Erreichen hinfällig. Sinn ergeben sie erst, wenn man sie in einen Zusammenhang stellt. Mit dem erreichten Zustand soll üblicherweise etwas ganz anderes möglich werden. Er soll näher heran führen an das eigentliche Sehnsuchtsziel. Wenn Führungskräften die Sehnsuchtsziele ihrer Mitarbeiter bewusst wären, könnten Sie sie an Zielen arbeiten lassen, die zum jeweiligen Menschen passen und zum Wohlbefinden beitragen – zur Zufriedenheit aller.

Nicht zuletzt ist Sehnsucht eine starke Emotion, die im Wortsinn nicht wegrationalisiert werden kann. Zwischen lustvoll und bittersüß, energiegeladen und traurig, sensibel und kreativ beschreiben Menschen den sehnsüchtigen Zustand. So zwiespältig diese Erfahrung, so lebendig ist sie auch. Sehnsucht hat mit ihrem schöpferischen Potenzial insbesondere Künstler immer wieder zu Höchstleistungen animiert. Führungskräfte, die die Sehnsüchte ihrer Mitarbeiter kennen, könnten ahnen, wie weit diese zu gehen bereit sind. Sie könnten dafür Türen öffnen und Wege ebnen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich halte S.M.A.R.T.e Ziele für etwas sehr Nützliches. Sie geben Orientierung und sichern Eindeutigkeit. Sie sind hilfreich bei der Planung und bei der Gestaltung von Zusammenarbeit. Sie dienen als Kontrollpunkte, um zu prüfen, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. Sie richten den Blick nach vorn, beschäftigen sich mit dem, was sein kann bzw. sein soll und helfen auf diese Weise gedanklich eine Zukunft zu errichten. Nur eine echte Motivationskraft schreibe ich ihnen nicht mehr zu. Die hat allein die Sehnsucht.

Das Führen mit Sehnsucht hat daher für mich echtes Potenzial, Dinge wirklich in Bewegung zu bringen. Es geht nicht um den Zustand des Fertigseins, sondern um das Verlangen nach Vervollständigung. Mit der Sehnsucht darf das Unfertige sein und das Streben selbst hat einen Wert. Wer mit Sehnsucht führt, führt smart im besten Sinn des Wortes: klug, wach und fein.


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