Trotz Mangel nicht mangelhaft

Von Liebe und Bewunderung

Neulich telefonierte ich mit einem alten Freund und Kollegen. Unser Kennenlernen vor fast 20 Jahren verdanken wir unserem inzwischen leider verstorbenen gemeinsamen Mentor. Ein Professor, bei dem wir beide studiert haben und der uns nach Abschluss des Studiums unter seine Fittiche genommen und auf die Beraterbahn gebracht hat. Visionär und charismatisch wie er war, hat er Dinge in uns gesehen und uns etwas zugetraut, was für uns beide damals noch außerhalb unseres Denkens lag. Er hat nie lockergelassen, sich uns mit seinen Ideen zugemutet, teils brachial Feedback gegeben und so mit uns unermüdlich unsere Grenzen verschoben. Wir haben an seinen Lippen gehangen, seine Artikel verschlungen, seine Nähe gesucht und seinen Tod betrauert. Als mein Freund und ich diese bewegte Zeit in unseren Herzen wieder aufleben ließen, waren wir uns einig: Wir haben unseren Mentor zutiefst bewundert und verehrt. Doch eigentlich nicht nur das: Wir haben ihn geliebt.

Und während wir noch eine ganze Weile in schönen Erinnerungen schwelgten, kamen in mir Fragen auf: Was macht eigentlich den Unterschied zwischen Liebe und Bewunderung aus? Und was genau ist das „Mehr“, das mein Freund und ich dort zu spüren glaubten?

Der Grat zwischen Liebe und Bewunderung ist schmal. Insbesondere wenn man auf die Alltagskommunikation schaut, erscheinen die Begriffe fast als Synonym, zumindest aber untrennbar miteinander verbunden. Und tatsächlich hat das staunende Bewundern von Schönheit und Ästhetik, die Anerkennung von Leistung oder die Achtung vor Status, Ruhm und Macht viel gemein mit dem Gefühl der Verliebtheit. Im ersten Liebesrausch setzen Verlangen und Sehnsucht unserem Blick Filter auf. Wir idealisieren, steigern unsere Anerkennung, schätzen den besonderen Wert des oder der Angebeteten, kurz: Wir bewundern was das Zeug hält. Gerade am Anfang, in der Phase der ersten Verliebtheit, gehört die Bewunderung ganz sicher zur Liebe dazu. Bewunderung kann Verliebtheit sogar entstehen lassen. 

Doch Liebe ist nicht ausschließlich Verliebtheit. Früher oder später differenzieren sich die Gefühle. Mit dem Entdecken des anderen kommt oft auch die Enttäuschung, ganz buchstäblich. Liebe und Bewunderung, die bis hierhin Hand in Hand gegangen sind, treten in eine andere Dynamik ein. Liebe kann wachsen, während die Bewunderung gleichbleibt oder sogar abgeklärter wird.

Denn Liebe, dieses Hingezogen sein, das sich – ausgelöst durch bestimmte Attribute - in körperlicher, seelischer oder geistiger Anziehung ausdrückt, ist bedingungslos. Liebe ist nicht an Leistung, welcher Art auch immer, geknüpft und erschöpft sich nicht in der Würdigung von Qualitäten, die die Sinne wahrnehmen oder die Vernunft bemessen kann. Liebe ist Anziehung und Bindung. Liebe bedeutet, sich von etwas oder jemandem berühren zu lassen und dabei bereit zu sein, ein Stück von sich zu geben. Liebe sucht Nähe, erzeugt Nähe und nährt sich aus Nähe. 

Bewunderung ist anders. Sie ist die Anerkennung von Besonderheit und Wert schlechthin und damit sehr wohl an Bedingungen geknüpft: Sie steht und fällt mit dem Staunen, der Achtung und Hochschätzung bestimmter Merkmale, die wir im anderen verwirklicht sehen. Für ihr Wachstum braucht sie keine Nähe, ganz im Gegenteil. Bewunderung kann auch mit Distanz sehr gut gedeihen. Was weiter weg ist, wird unschärfer und zur besseren Projektionsfläche. 

Der entscheidende Unterschied zwischen Liebe und Bewunderung liegt für mich jedoch in der Art und Weise, wie sich Liebende oder sich Bewundernde begegnen. Die Begegnung in Liebe ist geprägt von Freiheit, Gleichwertigkeit und Gleichwürdigkeit. Liebe muss weder herauf- noch herabblicken, sondern kann ihrem Gegenüber auf Augenhöhe begegnen. Bewunderung kann das nicht. Ihr ist immanent, dass es ein oben und ein unten, ein groß und klein gibt. Sie lebt vom Blick hinauf. Die Begegnung in Bewunderung erfolgt also in der Regel von unten nach oben oder von einem Weniger in Richtung eines Mehr. Während die Liebe aus der Fülle entsteht, wohnt der Bewunderung potenziell der Mangel inne. Die Fülle ist das, was die Liebe hat und die Bewunderung meistens nicht. Trotzdem ist Bewunderung aus meiner Sicht nichts Mangelhaftes. Sie hat einfach ihre eigene Qualität der Zuwendung.

Vielleicht haben mein Freund und ich unseren Mentor doch „nur“ bewundert. Umso besser, dass er uns nie von oben herab behandelt oder auf Distanz gehalten hat. Im Gegenteil: Er hat uns zweifellos voller Liebe begleitet.


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