Sehnsucht als Lebenskraft

Haben Sie Feuer?

Ich bin Nichtraucherin. Hin und wieder habe ich in der Vergangenheit meine rauchenden Freundinnen beneidet.  Nichts schien leichter, um mit anderen in Kontakt zu kommen, als die schlichte Frage nach Feuer. Spannend war dann immer zu sehen, wie es nach der Kontaktaufnahme weiter ging. Manche Männer hatten Feuer, andere nicht. Bei denen mit Feuer ließ die Art des Feuers zahlreiche Rückschlüsse zu: Hat er ein edles Erbstück mit Monogramm – der Gentleman mit Hang zur Tradition? Ein Sturmfeuerzeug als Survival-Typ oder rauer Cowboy? Ein buntes Einweg-Ding aus der Drogerie bei einem, der öfter mal was Neues braucht? Oder zückt er Streichhölzer als einer, der keine Angst hat, sich die Finger zu verbrennen?

Nein, es geht hier nicht ums Rauchen und auch nicht um Beziehungsanbahnung. Das heißt, um Letzteres geht es in gewissem Sinne doch. Es geht um das Feuer in Ihnen, das die Tür zu Beziehungen öffnen kann. Es geht um die Unruhe Ihres Herzens, Ihre Sehnsucht. Denn ähnlich wie mit dem Feuer geben verhält es sich auch mit unserer menschlichen Sehnsucht. Der Begriff hat im Lauf der Geschichte unzählige Wandlungen durchgemacht. Je nachdem, welche Zeit, welche philosophische oder theologische Schule Sie befragen: Mal ist er eher negativ, mal eher positiv besetzt. Für die einen verbunden mit Leiden und Siechtum, mindestens aber mit schmerzhaften Gefühlen, gekoppelt an Hoffnungslosigkeit. Für die anderen Ausdruck einer schöpferischen Kraft, eines schwärmerischen Suchens.

In der griechischen Mythologie erklärt der Kugelmenschen-Mythos aus Platons Symposion Sehnsucht mit dem Streben der Menschen nach Vervollkommnung und Ganzheit. Auch etymologisch geht es in diese Richtung: Die griechischen Begriffe Epithymia bzw. Thymós bezeichnen eine Gemütslage, die mit Begriffen wie Leidenschaft und Zorn, aber auch Mut, Antrieb und Lebenskraft übersetzt wird. Etwas Kraftvolles und Energiereiches scheint Sehnsucht zu sein. Etwas das – obwohl als Kraft bisweilen zutiefst zerstörerisch – auf ein „Besser“, vielleicht sogar auf Vollkommenheit, gerichtet ist.

Dementsprechend müsste die Antwort auf die Eingangsfrage eigentlich lauten: „Ja, ich habe Feuer.“ Denn Sehnsucht ist Teil der menschlichen Verfasstheit.

Aber kennen Sie Ihr Feuer? Was genau ist Ihr Antrieb, Ihre Lebenskraft, sprich: Ihre Sehnsucht? Und wie ist sie? Glimmt sie nur, brennt oder lodert sie? Spüren Sie sie als wohlige Wärme oder als brennendes Verzehren?

Es lohnt danach zu forschen, nicht nur, um Sehnsucht zu stillen. Sofern das überhaupt  möglich ist…..Die Frage führt Sie in Ihre Tiefen, zu Urbildern Ihrer Seele. Nur, was wir tief in uns kennen, können wir ersehnen. Mit dem Wissen um Ihre Sehnsüchte heben Sie Ihre Lebensthemen. Oft genug sind die verschüttet und verbaut. Als unzulässig in die Ecke gestellt.

Stellen Sie sich vor was passieren könnte, holten Sie Ihre Sehnsucht hervor.

Sie würde Sie vielleicht mit einem völlig fremden Selbst in Kontakt bringen. Sie würde Sie vielleicht mit bisher unbekannten Menschen zusammen führen und von altbekannten trennen. Sehnsucht ließe sich teilen oder zum persönlichen Geheimnis machen. Ließe sich akzeptieren oder ablegen, hegen und pflegen oder weiter reichen. Als Schmerz verarbeiten oder als Lebensaufgabe annehmen. Alles ist denkbar.

Es ist gar nicht so schwer, der Sehnsucht auf die Spur zu kommen, wenn man es will. Überlegen Sie mal:

Wann geht Ihnen das Herz auf – und wann geht es ganz schnell zu?

Bei welchen Themen laufen Sie über vor Energie? Worüber könnten Sie stundenlang reden? Welche Bücher lesen Sie gern? Welchen Film schauen Sie immer wieder? Welche Orte suchen Sie in unbekannten Städten auf?

Welches Thema kehrt immer wieder? Welches meiden Sie? Und was hat das mit Ihrem Leben, Ihren Krisen, Ihren Glücksmomenten, Ihrem Alltag zu tun?

Welches Feuer spüren Sie da in sich? Und: Welche Art von Beziehung wollen Sie daraus machen? Einen kleinen Flirt? Oder die große Liebe?


Alles zum Thema "Kolumnen, Sehnsucht" lesen.