Vor einiger Zeit wurden mein Freund und ich bei einem Spaziergang durch unser Stadtviertel von einem Makler angesprochen. An der Einfahrt zur Baustelle eines exklusiven Bauprojekts, das wir nicht nur wegen der exorbitanten Kaufpreise der entstehenden Häuser eigentlich links liegen lassen wollten, fischte er uns ab. Mit dem Satz “Ihr seht aus, als bräuchtet Ihr ein Floating-House“ zog er uns in seinen Verkaufs-Container. Was am Anfang noch irgendwie witzig rüberkam (wir waren am dämmrigen Sonntagabend eher im Lässig-Look unterwegs) und uns neugierig machte, mündete in einem Verkaufsversuch, der schleimiger nicht hätte sein können. Aus dem ironischen Anmach-Spruch wurde eine klebrige Freundlichkeit, die unerträglich war und gleichzeitig die Flucht erschwerte. Selbst wenn uns die Häuser gefallen und wir über das nötige Kleingeld verfügt hätten – nie im Leben hätten wir diesem Typen ein Haus abgekauft. Soviel Schein-Freundlichkeit war uns noch nie untergekommen. Für den Rest unseres Spaziergangs hatten wir ein Thema: Werden wir lieber unfreundlich als überfreundlich behandelt? Und lässt sich echte von falscher Freundlichkeit immer so leicht unterscheiden wie in diesem Fall?
Tatsächlich ist die Unterscheidung von echter und falscher Freundlichkeit gar nicht so einfach. Das liegt nicht nur daran, dass Freundlichkeit immer auch im Auge des Betrachters liegt. Der Hauptgrund scheint mir zu sein, dass - in einem gewissen Maß - das Freundlich-Tun Teil des Freundlich-Seins ist. Schein und Sein sind hier keine eindeutigen Gegensätze.
Der soziale Verkehr verlangt nach Freundlichkeit. Die nette Stimme der Call Center-Agenten ist ebenso selbstverständlich wie das Lächeln der Bedienung im Restaurant. Routinierte Freundlichkeit ist professionell, wird erwartet und notfalls in Seminaren geschult. Ratgeberbücher vermitteln Tipps, wie man freundlicher „wirkt“ (nicht etwa „wird“). Weil das so ist, werden wir unsicher. So wenig wie ausgeschlossen werden kann, dass die Freundlichkeit im Job ernst gemeint ist, so sehr gehört auch die - potenzielle – Simulation dazu.
Ich gestehe: Ich finde das in Ordnung. Ich werde lieber professionell freundlich als ehrlich unfreundlich behandelt. Die lächelnde Kassiererin ist mir lieber als die grimmig dreinschauende. Ich lese lieber „Viele Grüße“ am Ende einer E-Mail als gar keinen Gruß, auch, nein, eigentlich gerade weil ich vielleicht weiß, dass die Stimmung angespannt ist. Auch wenn diese Gesten der Freundlichkeit routiniert sind und keine tiefen Freundschaften anbahnen – sie sind Schmierstoff im täglichen Miteinander. Ich will sie nicht hinterfragen, sondern dankbar anerkennen, dass mir entgegenkommenderweise die schlechte Laune anderer erspart wird. Das ist mir - unter völlig Fremden – meist Freundlichkeit genug.
Schwierig wird es, wenn das übertrieben wird. Nach dem Munde zu reden und beflissene Komplimente zu machen hat für mich nichts mit Freundlichkeit, auch nicht mit professioneller Freundlichkeit zu tun. Wer sich anbiedert hat eigene Motive, die scheinbar nicht offengelegt werden können. Übertriebener Freundlichkeit geht es nicht um den anderen, sondern um eigene Interessen.
Echte Freundlichkeit hingegen hat ein Interesse daran, dass es allen Beteiligten im Miteinander gut geht.
Sie versucht sich einzufühlen in das, was die anderen gerade brauchen oder können - in unserem Fall oben definitiv kein Floating-House.
Echte Freundlichkeit ist freigiebig und zeigt sich insbesondere dann, wenn das Gegenüber von der freundlichen Zuwendung eigentlich gar nichts wissen will. Sie riskiert, sich der Lächerlichkeit preiszugeben, weil sie Liebenswürdigkeit auch da unterstellt, wo es sie vielleicht nicht wirklich gibt. Sie spielt keine Stärken aus, sondern kann sich ohne Angst vor dem Verlust des Ansehens oder der Würde auf die Ebene des anderen begeben.
Echte Freundlichkeit bedient ein Paradox: Sie erspart anderen die Zumutung der eigenen Abgründe. Und sie ist nur möglich, wenn wir auch bereit sind, uns verletzlich zu machen und verletzlich zu zeigen.
Echte Freundlichkeit kommt daher tatsächlich vom Herzen. Ob das so ist, können wir nie genau wissen. Darauf müssen wir freundlich vertrauen. Am besten, ohne ein Urteil zu fällen.
So gesehen lasse ich den Makler von oben jetzt mal Makler sein. Ja, er wollte uns was andrehen und ist dabei über’s Ziel hinausgeschossen. Aber echt freundlich wäre wohl, einfach gar nichts dazu zu sagen.