Nett, aber sexy

Was Freundlichkeit und Sex-Appeal verbindet

Neulich in der U-Bahn wurde ich Zeugin eines Gesprächs zwischen zwei jungen Männern vom Typ „Danger“ aus dem Film „Fack ju Göthe“. Eine verunglückte Beziehungsanbahnung wurde analysiert. Der eine berichtete zerknirscht: „Ey Digga, die ist einfach zu nett um sexy zu sein, verstehst Du?“. Der Kumpel sprang tröstend zu Seite: „Nee Digga, Du bist zu sexy um nett zu sein.“ Ich musste lachen. Und während ich darüber schmunzelte, dass die typischen Gender-Klischees hier irgendwie durchbrochen schienen kam ich ins Grübeln über das geäußerte Vorurteil: Wie kommt es zu der verbreiteten Ansicht, dass ein freundlicher Mensch nicht sexy - oder umgekehrt: ein Mensch mit Sex-Appeal nicht nett - sein kann? Gilt dies tatsächlich so uneingeschränkt, wie es scheint? Und was haben Freundlichkeit und Sexyness überhaupt miteinander zu tun?

Auf den ersten Blick gibt es wenig Verbindendes. Sex-Appeal oder erotische Ausstrahlung sind vorrangig an Äußerlichkeiten geknüpft, Freundlichkeit als Tugend ist ein Ausdruck innerer Werte. Beide Aspekte sind mit Eigenschaften konnotiert, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Offenbar macht uns sexy, was eher mit Härte und Dominanz verbunden wird als mit freundlicher Sanftheit und Hingabe. Beim Sex-Appeal geht es um die Anziehungskraft vor allem körperlicher Reize, um das Spiel mit der Macht über Begehren. Sein Reiz hat mit Fremdheit, Andeutung und manchmal auch Unverfügbarkeit zu tun. Sexyness lebt vom Geheimnisvollen und für Aufregung bzw. Erregung. Demgegenüber setzt Freundlichkeit auf Gleichberechtigung und ebnet Machtgefälle. Sie macht verfügbar und stellt Verbindlichkeit her. Bei ihr geht es um Vertrauen. Sie lebt von Offenheit und für Sicherheit und Stabilität. Freundlichkeit und Sexyness sind zweifellos sehr unterschiedlich.

Trotzdem will ich glauben, dass beides in einer Person zusammenkommen kann.

Der Schweizer Philosoph Alain de Botton etwa hält den Gedanken, dass beides sich ausschließt, für ein Vermächtnis kultureller Strömungen, in denen Freundlichkeit zugunsten von Werten wie Leidenschaft, Spontanität, oder Entschlossenheit abgewertet und zurückgedrängt wurde. Er geht davon aus, dass viele Eigenschaften, die als Gegensatz zur Freundlichkeit betrachtet werden - Erfolg, Abenteuer, Wettbewerbssinn oder erotisches Interesse – nicht nur sehr gut mit ihr vereinbar sind, sondern überhaupt erst auf einer Grundlage allgemeiner Freundlichkeit gedeihen können. Zwischen beiden bestehen Gemeinsamkeiten die sich zu entdecken lohnen, wenn man das eine nicht gegen das andere ausspielen möchte.

So haben Freundlichkeit und Sex-Appeal ähnliche Voraussetzungen. Beide verlangen nach einer gewissen Risikobereitschaft. In beiden Fällen riskiert man Zurückweisung. Ob freundlich oder sexy: Beides hat damit zu tun, sich zu offenbaren, angreifbar, verletzlich, „nackt“ zu machen. Das muss man aushalten können. In beiden Fällen gelingt das am besten mit einem gefestigten Selbstvertrauen. Nur wer um seine Stärke weiß, kann mit der Macht des Begehrens spielen. Nur wer sich selbst akzeptiert und in Ordnung findet, wird bereit sein, sich zu verheißen. Nur wer in sich selber ruht und sich selbst gut kennt, wird freundlich bleiben angesichts eigener und fremder Unzulänglichkeiten. Nur wer bereit ist, anderen zu trauen, wird ihnen freundlich begegnen können und – das ist das Beispiel von de Botton - auch Erotik und sexuelles Begehren stellen sich erst dann vollkommen ein, wenn man darauf vertraut, dass der andere im Spiel ein halbwegs anständiger, um nicht zu sagen freundlicher Mensch ist.

Sexyness und Freundlichkeit haben eine vergleichbare Wirkung. Sie machen die Person attraktiv und das Leben schöner. Sich seiner Körperlichkeit bewusst zu sein und sie in Ordnung zu finden ist - unabhängig vom individuellen Geschmack – überaus anziehend, denn dem Gegenüber zeigt sich ein ganzer Mensch. Und Freundlichkeit ist anziehend, weil auch sie den ganzen, unperfekten Menschen annimmt.

Wo die Währung Anziehungskraft und Verbindung heißt, sind Sex-Appeal und Freundlichkeit zwei Seiten einer Münze. Es sind Wege, auf denen Menschen sich begegnen können, weil sie sagen „Ich bin ok und du bist ok.“. Etwas pathetisch: Beides sind Ausdruckformen von Liebe – Eros und Philia – die nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern nebeneinander Bestand haben wollen.

Dem jungen Danger aus der U-Bahn würde ich gerne sagen: Vertrau Dir selber mehr als Deiner Goldkette. Dann klappt es auch mit den Mädels.


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