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Wie kirchliche Organisationen mit Konflikten umgehen

Mediation als Chance

Kirchliche Organisationen nutzen überraschend selten das Instrument der Mediation, um Konflikte zu lösen. Das verwundert, hat man es hier doch mit einer Kultur zu tun, die sensibel ist  für Stimmungen und Atmosphäre und deren Angehörige zum großen Teil aufgrund professioneller Prägung oder kirchlicher Sozialisation geübt sind in Selbstreflexion und Diskurs.

In Gesprächen mit Vertretern verschiedener kirchlicher Organisationen hat Christiane Gülcher Beobachtungen aus unterschiedlichen Beratungszusammenhängen ventiliert und nach Erklärungen gesucht. Wie, wenn nicht auf dem Weg der Konfliktvermittlung, also im Gespräch auf Augenhöhe, werden Konflikte in kirchlichen Organisationen behandelt? Folgen Konfliktverhalten und Konfliktbearbeitung in kirchlichen Organisationen eigenen Regeln, die sich von denen anderer, nicht-kirchlicher Organisationen unterscheiden? Und warum ist es, wie es scheint?

Ein gänzlich subjektiver Versuch, zu beschreiben, wie kirchliche Organisationen mit Konflikten umgehen.

Konflikte sind unangenehm. Sie halten auf, binden Energien, bringen Verletzungen mit sich, weisen auf Abgründe hin. Ihre Bearbeitung ist mit allerlei Zumutungen verbunden. Gründe genug, Konfliktsituationen zu vermeiden.

Nur kein Streit – Konfliktvermeidung

Ein ungutes Gefühl kann man leugnen, den Streit herunter spielen, die schlechte Stimmung unter den Teppich kehren. Umgekehrt kann man ansprechen, was zum Problem werden kann, Themen klären, bevor sie ernsthafte Schwierigkeiten bereiten. Paradoxerweise verschärft gerade  das Schweigen der erst genannten Lösung meist das Problem. Wo hingegen unterschiedliche Interessen benannt und Konfliktsituationen gedanklich vorweg genommen werden, werden Wege gefunden, mit schwierigen Situationen umzugehen.

Doch diese Art der Prävention findet sich in kirchlichen  Zusammenhängen eher selten. Zwar wird „gefeedbackt“ und reflektiert was das Zeug hält, aber wunde Punkte werden häufig ausgespart. Stattdessen gibt es viel Lob für Dinge, die „nur“ in Ordnung, aber nicht gut waren. Verantwortlichen fällt es schwer, Kritik zu üben. Betroffenen fällt es schwer, Kritik zu hören und nicht persönlich zu nehmen – was zugegeben nicht einfach ist, wo es um persönliche Themen und existenzielle Fragestellungen geht. Entscheidungsgremien handeln nach dem Konsensprinzip. Einheit und Harmonie sind Werte, die ganz oben stehen und unterschiedliche Interessen scheinen so bedrohlich zu sein, dass lieber weg geschaut wird. So kommt es, dass Konflikte schwelen. Die Stimmung ist schlecht, die Frustration steigt, aber kaum jemand wagt es, das Thema anzusprechen. Das Risiko, als unbarmherzig zu gelten oder selbst zum Problem erklärt zu werden, ist hoch. 

Wir? Konflikte? – das Negieren von Konflikten

Denn: Wo sich Konflikte Bahn gebrochen haben und ein Problem offensichtlich wird, werden diese als solche dennoch häufig negiert. Als „anstrengendes Verhalten“ werden sie einer Person zugeschrieben und nicht als gemeinsames Thema betrachtet. Aus Symptomträgern eines Konflikts werden „schwierige Mitarbeiter“. Die Verantwortung für die problematische Situation wird allein einer Person zugeschrieben. Das schneidet der Bearbeitung mit anderen Beteiligten den Weg ab. Nicht selten kommen Schuldzuweisungen und tiefe Schuldgefühle dazu.

Ein jeder kehre vor seiner Tür – Individualisierung der Konfliktbearbeitung

Doch keineswegs jeder Konflikt wird stoisch ausgehalten. Konfliktbearbeitung findet statt, allerdings eher selten unter diesem Namen (oder gar unter der Bezeichnung „Mediation“) und ebenfalls eher selten im Rahmen vermittelnder Verfahren. Stattdessen stehen Einzelpersonen Unterstützungsangebote wie Supervision, Coaching, geistliche Begleitung zur Verfügung. Sie dienen als Ventil und helfen den Betroffenen, Wege für den persönlichen Umgang mit der belastenden Situation zu finden. Wo auf Dauer aber nur ein Beteiligter am Tisch sitzt, pflanzt die hilfreiche und sinnvolle Intervention durch Coaching und Supervision die Individualisierung des Konflikts fort. Das Risiko, den Konflikt zum „persönlichen Problem“ zu machen, steigt. Vermittelnde Verfahren hingegen wollen von Anfang an alle Beteiligten in der Reflexion unterstützen und sprachfähig machen, wollen die eingefrorene Kommunikation wieder in Gang bringen.

Wo schließlich „vermittelt“ wird, wo es zu Gesprächen zwischen den unmittelbar Beteiligten kommt, übernimmt häufig ein Vorgesetzter die Vermittlerrolle. Was gut gemeint ist, wird häufig als unschöne Erfahrung geschildert: Mit väterlicher Geste werden Konfliktparteien zum Gespräch gebeten, eine Versöhnung wird angemahnt und, so dies nicht gelingt, eine Entscheidung von „höherer Ebene“ angedroht. Ganz abgesehen davon, dass Führungskräfte als Mediatoren nur sehr begrenzt einsatzfähig sind: Vermittelnde Hilfe zur eigenverantwortlichen Konfliktlösung braucht mehr als eine dritte Person am Tisch.

Was macht den Unterschied?

Kirchliche Organisationen vermeiden also Konflikte, negieren und verlagern sie auf Individuen. Auch nicht-kirchliche Organisationen tun das. Doch der Unterschied liegt im Detail.

In Unternehmen, die mit Produkten oder Dienstleistungen auf einem Markt aktiv sind, gehören Verhandlungs-situationen und Wettbewerb zum Tagesgeschäft. Es gehört zur Routine, eigene Interessen zu vertreten und unterschiedliche Interessen in Einklang zu bringen. Es besteht die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung und Verhandlung. Dementsprechend höher scheint die Bereitschaft dazu zu sein. Die Kommunikationsstruktur folgt dort einer Logik, die mit Störungen rechnet und auf Argumentieren angelegt ist. Das, eine größere Verhandlungsroutine und ein meist offener ausgeprägtes Konkurrenzverhalten scheinen außerhalb von Kirche hilfreich zu sein, z.B. wenn es um das Aufdecken von Konfliktpotentialen geht. Kirchliche Organisationen hingegen sind z.T. noch immer kaum einem Wettbewerb ausgesetzt. Im allenfalls verdeckt konkurrenzierenden System besteht die Sorge, Gewinner und Verlierer zu produzieren. Und wo Inklusion und Einheit existenzielle Größen sind, ist es schwierig, sich buchstäblich „auseinander zu setzen“.

Auch „Sündenböcke“ oder das „Opfer des Systems“ gibt es außerhalb von Kirche. Zu beobachten ist jedoch, dass nicht-kirchliche Organisationen das Problem „schwieriger Mitarbeiter“ meist rascher und kompromissloser angehen als kirchliche. Kirche zeigt sich geduldiger. Was zunächst menschlicher wirkt, die Situation aber keineswegs immer einfacher macht: „Merkwürdiges Verhalten“ oder unzureichende Leistungen werden geduldet und selten offen hinterfragt, egal, ob die Ursache ein Konflikt ist oder tatsächlich das persönliche Problem eines Einzelnen. Aushalten und eigene Interessen zurück stecken sind als Tugenden fest im kirchlichen Milieu verankert. Wo die einen erst gar keine Chance zur Konfliktlösung einräumen, wird sie bei den anderen oft verpasst. Was auf eine ähnliche Frustration hinaus läuft, in Kirche aber länger dauert. Konflikte werden bis zu einem Eskalationsgrad negiert, der eine vermittelnde Konfliktbearbeitung unmöglich macht.

Kirchliche Kultur versus eigenverantwortliche Konfliktlösung?

Wie es scheint, unterstützen kulturelle Eigenheiten des Systems in kirchlichen Organisationen gängige Konfliktvermeidungsstrategien und erschweren die Konfliktbehandlung im Sinne mediativer Ansätze.

Welche organisationskulturellen oder systembedingten Eigenheiten sind dies? Und: Muss das so sein? Gibt es vielleicht auch Eigenarten, die gerade einen konstruktiveren Umgang mit Konflikten verlangen und ermöglichen? Vermeidung und Negation jedenfalls führen auf Dauer in eine Abwärts-Spirale, sorgen für immer neue Konfliktanlässe und die Ausweitung von Konflikten. Welche Besonderheiten der kirchlichen Organisationskultur sprechen also gerade für vermittelnde Verfahren der Konfliktlösung?

Einer für alle - Gemeinschaft und Altruismus

Im Milieu kirchlicher Organisationen findet sich eine große Sehnsucht nach Einigkeit und Harmonie. Kirche als Organisation ist eben nicht nur Erbringerin von Diensten, sondern auch und vor allem Gemeinschaft. Als Lebens-, Schicksals- und Überzeugungsgemeinschaft geht es ihr darum, eine überindividuelle Idee zu erhalten. Kirche als Korporation pflegt familiale Strukturen. Und auch wenn eine solche Gemeinschaft personenorientiert ist und Menschen sich mit Menschen beschäftigen, sind individuelle Belange vergleichsweise „unwichtig“.  Daneben findet sich ein Wert, der zur Konfliktvermeidung geradezu einlädt: der Altruismus. Gepaart mit dem Gebot der Nächstenliebe, dem - in der Regel unscharfen - Begriff des  Christlichen Menschenbildes, diffusen Schuldgefühlen und einem damit verbundenen Opfergedanken entsteht eine emotionale Gemengelage, die es dem Einzelnen schwer macht, sich Interessen und Bedürfnisse zu gestatten und noch schwerer, diese auszusprechen.

Selbstloses und uneigennütziges Verhalten ist gefordert. In Konsequenz steht der Verzicht darauf, Bedürfnisse anzumelden und eigene Interessen zu vertreten. Probleme werden erduldet und ausgehalten, und das umso mehr, wenn man nicht ausschließen kann, völlig unbeteiligt am Konflikt zu sein. Die potenzielle Verstrickung in einen Konflikt hat etwas Schlechtes, Schuldhaftes, denn sie stört die angestrebte Einheit und Harmonie. Die persönliche Schuld verbietet wiederum, „mit dem Finger auf andere zu zeigen“. Das Aushalten eines unangenehmen Zustands dagegen wird als „gut“ bewertet – das „Opfer des Erduldens“ „sühnt“ gewissermaßen die Schuld an der Beeinträchtigung der Einheit. Und in der Logik der Gemeinschaft ist dieses Opfer quasi ein Wahrheitskriterium. Nicht Zielerreichung und Nutzen bestätigen die Wahrheit einer Aktion, sondern Einsatz und Opfer.

Was ich nicht weiß…. – fehlende Kontrollmechanismen

Provokant formuliert scheint ein „Zuviel“ an Werten die Konfliktbearbeitung zu erschweren. Daneben gibt es aus  meiner Sicht auch ein „Zuwenig“. Etwas, das außerhalb von Kirche zur Konfliktbearbeitung motoviert, in Kirche aber eine Nebenrolle spielt ist die Leistungsmessung. Bei der Verfolgung wirtschaftlicher Ziele ist Effizienz ein Erfolgsfaktor. Unternehmen nutzen unterschiedlichste Methoden der Leistungsmessung und stoßen so früher oder später auf die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen von Konflikten. Kirchliche Organisationen nutzen solche Kontrollmechanismen kaum. Hier werden weitgehend ideelle Ziele verfolgt, die einer Leistungsmessung nur begrenzt zugänglich sind. So kommt es, dass negative Auswirkungen von Konflikten nicht nur weniger auffallen, sondern dass angesichts ideeller Ziele die Steigerung der Effizienz kaum einen Anreiz zur Konfliktbearbeitung bietet.

Gemütlich in der Opferrolle – Lust und Last der  Hierarchie

Auch die streng hierarchische Struktur beeinflusst die Konfliktlösung. Zum einen wird zur „hierarchischen Keule“ gegriffen. Entscheidungen werden eher spät, denn früh von Leitungspersonen getroffen, den Beteiligten im Konflikt bleibt keine Wahl, keine Möglichkeit zur Einflussnahme. Der Machteingriff ist ein probates Mittel der Konfliktbearbeitung – aber eben keines, das sich durch einen mediativen Ansatz auszeichnet. Als ultima ratio sollte er zum Einsatz kommen, wenn andere Versuche gescheitert sind oder aufgrund der fortgeschrittenen Eskalation nicht mehr angezeigt sind. Permanente „Machtworte“ aber  machen Mitarbeiter unmündig. So wird zum anderen „von unten“ auf die Hierarchie gesetzt. Sämtliche Entscheidungen werden von hierarchisch höher gestellten Personen erwartet. Die Eigenverantwortlichkeit wird abgelegt. Eine Situation, die nicht nur unangenehm sein muss - die Verantwortung für eigenes Verhalten anderen zu überlassen, kann verführerisch bequem sein.

Umgekehrt greifen hierarchische Strukturen und daraus abgeleitete Lösungsstrategien nicht mehr, wenn ehrenamtliche Mitarbeiter in Konflikte verstrickt sind. Hier wird gern weggeschaut oder das Problem beim Einzelnen gesucht. Die Arbeit am Konflikt birgt das Risiko, den Ehrenamtlichen zu verlieren. Gerade hier wäre man auf vermittelnde Verfahren angewiesen, greift aber oft auf die bewährte Konfliktvermeidung zurück.

Zu guter Letzt ist eine Konfliktlösung auf dem Weg des Aushandelns immer dann erschwert, wo es um Gewissensfragen und Wahrheitssuche geht. Pastorale und caritative Arbeit beschäftigen sich mit Lebensdramatiken und existenziellen Fragestellungen. Auf der Suche nach einer absoluten Wahrheit werden Argumente schnell überhöht. Mediation jedoch geht davon aus, dass es viele Wirklichkeiten gibt. Sie sucht nicht nach Recht und Wahrheit, sondern nach einer Lösung, die für alle Beteiligten akzeptabel ist.

Einheit und Gemeinschaft – Ruf nach Auseinandersetzung

Geradezu paradox mutet der Gedanke an, dass Werte wie Einheit, Gemeinschaft, Selbstlosigkeit und ideelle Ziele in kirchlichen Organisationen Hindernisse auf dem Weg zur Konfliktwahrnehmung und Konfliktbearbeitung zu sein scheinen. Zusammen mit einer schnellen Bewertung von Positionen als gut oder schlecht, schuldhaft oder schuldlos erschweren sie den Schritt in Richtung der Aufarbeitung schwieriger Situationen und führen dazu, dass Konflikte schwelen können. Hierarchische Strukturen verleiten zu einer vermeintlich einfachen Lösung durch Machteingriffe und existenzielle Fragestellungen verbieten den Schritt in einen eigenverantwortlichen Aushandlungsprozess.

Muss das so sein? Oder ist es nicht denkbar, eben diesen Besonderheiten in Konfliktsituationen mit Hilfe vermittelnder Ansätze gerecht zu werden?

Gemeinsam sehen lernen - Mediation

Exemplarisch für alle vermittelnden Verfahren der Konfliktbearbeitung steht die Mediation, ein seit der Antike bekanntes Verfahren der Konfliktlösung. Den Beteiligten wird mit Hilfe einer neutralen dritten Person dazu verholfen, ihre Sichtweisen auf das gemeinsame Thema darzulegen und die Hintergründe der Auseinandersetzung zu erhellen. Mit Hilfe des Vermittlers werden Positionen hinterfragt und Interessen und Bedürfnisse herausgearbeitet. Auf dieser Grundlage können dann ganz neue, bisher ungeahnte Lösungen in den Blick genommen werden. Angestrebt wird eine sog. win-win-Lösung. Eine Vereinbarung, zu der alle Seiten vollständig Ja sagen können, ohne das Gefühl, das Gesicht zu verlieren oder  - typisch für einen Kompromiss - „klein beigegeben“ zu haben. Das funktioniert nur, wenn die Lösung von den Beteiligten selber kommt und nicht von außen. Mediation setzt zwar an  unterschiedlichen Sichtweisen an, der Mediator aber ist „Übersetzer“ und entschlüsselt menschliche Bedürfnisse. Er verhilft zur nötigen Selbstklärung und macht eine Verständigung (wieder) möglich.

Bedürftig und würdig – was Konfliktparteien verbindet

Die Frage nach Bedürfnissen hinter den Interessen nimmt die Würde des Einzelnen ernst. Beide Menschen bzw. alle Beteiligten in der Runde haben die gleiche Würde und sind berechtig, Bedürfnisse zu haben und zu äußern.

Dazu kommt die empathische Qualität in der Mediation. Nicht nur der Mediator muss empathiefähig sein, um seinen Medianten zur Klärung ihrer Positionen zu verhelfen. Es geht vor allem darum, die Parteien empathiefähig für einander zu machen. Kommunikation kommt in Gang, wenn die Gegenseite nicht länger als „Unmensch“, sondern als Mensch betrachtet wird. Dieser Wendepunkt tritt vor allem dann ein, wenn die gegenseitigen Nöte gesehen werden und die Beteiligten sich dabei im anderen erkennen. So gesehen passt ein mediatives Verfahren mit seiner Frage nach den Bedürfnissen hinter den Interessen sehr wohl zur Idee des Altruismus: Es geht nicht darum, eigene Bedürfnisse im Sinne von Wünschen anzumelden. Es geht zunächst einmal darum, Bedürfnisse zu äußern, die des anderen zur Kenntnis zu nehmen und dem Gegenüber das Hinschauen zu ermöglichen. Anders ausgedrückt: Es geht darum, einen intensiven Blick auf den „Nächsten“ zu werfen und so über ähnliche Bedürfnisse – etwa nach Wertschätzung, Anerkennung, Sicherheit, Unabhängigkeit -  eine Verbindung herzustellen. Diese Verbindung ist Grundlage von Gemeinschaft. Dazu gehört, ein Wir denken zu können – was paradoxerweise nur möglich ist, wenn der andere als ein anderer wahrgenommen wird. Da Konflikte eine Form von Beziehung sind, stellen sie auf seltsame Art „Gemeinschaft“ her. Es gibt ein brennendes gemeinsames Thema. Die Entscheidung für eine Konfliktvermittlung ist die Entscheidung für einen gemeinsamen, abgesprochenen Weg aus der Krise und setzt voraus, diese Gemeinsamkeit zu erkennen.

Analytisch, konstruktiv, erlösend – nach Bedürfnissen fragen

Auf dem Weg zur Lösung wird in der Mediation nicht nach Schuld gefragt und nicht nach Recht. Wichtiger ist, aufgrund welcher Bedürfnisse Menschen so gehandelt bzw. Handeln so erlebt haben, wie sie es getan haben. Hierin liegt die eigentliche Herausforderung der Mediation. Der Abschied vom „Recht haben“ ist eine Zumutung. Es ist nötig, von sich abzusehen, selbstlos zu sein, um einen Weg zu finden, wie es anders  - und für alle Seiten gut - weiter gehen kann. Dies macht mediative Verfahren nicht nur zu konstruktiven Formen der Auseinandersetzung. Es verleiht ihnen auch eine verzeihende, versöhnliche Qualität. Was war, ist ergründet, jetzt gilt der Blick nach vorn. Das bedeutet keineswegs immer einen Schmusekurs. Mediationen können zu drastischen Einschnitten und Veränderungen führen. Aber wo verfahrene Situationen geklärt werden und eine Möglichkeit zum Neuanfang geschaffen wird, hat das erlösende Wirkung.

Etwas anders ist die Situation, wo um grundlegende Werte und Haltungen gerungen wird, was in pastoralen Zusammenhängen nicht völlig abwegig ist. An dieser Stelle gerät zugegeben auch die beste Mediation an eine Grenze. Möglich bleibt aber eine Verständigung auf der Metaebene, über die Art und Weise des Umgangs mit den unterschiedlichen Anschauungen.

Verständigung - ein Ernstfall von Beziehung

Soweit eine kirchliche Organisationskultur geprägt ist von Werten wie Einheit, Gemeinschaft und Selbstlosigkeit sollten diese also gerade kein Hinderungsgrund für die Konfliktvermittlung sein, sondern als deren Promotoren wirken. Das gilt aus meiner Sicht umso mehr, wo es keine Alternative zum Gespräch gibt, z.B. im Verhältnis zu ehrenamtlichen Mitarbeitern. Hierarchische Durchgriffe und arbeitsrechtliche Mittel sind hier keine Optionen, Verständigung wird zum Ernstfall von Beziehung. Warum sollte, was im Umgang mit ehrenamtlichen Mitarbeitern gilt, nicht auch für hauptamtliches Personal gelten? Nichts gegen machtvolles Agieren: Entschiedenes Leitungshandeln zum angemessenen Zeitpunkt kann helfen, Konflikten vorzubeugen und hin und wieder wird es erforderlich, um eine verfahrene Situation zu beenden. Die besagte „hierarchische Keule“ jedoch ist eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit und (ver-) führt auf Dauer zur Unmündigkeit. Vermittelnde Verfahren der Konfliktlösung fördern die Verständigung und führen in die Beziehung. Kirchliche Organisationen haben allen Grund, ihre Werte nicht nur ernst, sondern auch couragiert wahr zu nehmen.

Christiane Gülcher, Wie kirchliche Organisationen mit Konflikten umgehen. Mediation als Chance, in: Anzeiger für die Seelsorge 2/2012


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