Von Leichtigkeit durch Vergebung

Schwerer Schlüssel

In den vergangenen Jahren tobte zwischen meinem Freund und seiner Exfrau ein Rosenkrieg. Wenn Sie Details wissen möchten: Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf – Sie liegen garantiert richtig. Der Konflikt hat alle müde gemacht. Entsprechend groß war die Erleichterung, als endlich eine rechtliche Einigung herbeigeführt war. Doch die Hoffnung, dass angesichts der geschaffenen Klarheit nun alles etwas leichter würde, wurde enttäuscht. Der Konflikt geht weiter. Nicht mehr der ganz große Krach, dafür kleine beidseitige Gemeinheiten, die das Leben belasten. Dazu noch die Erinnerung an vergangene Schlachten, die schwer wiegt. Alle wünschen sich, dass durch faire Abmachungen endlich wieder Leichtigkeit einkehren möge. Doch eine gerechte Lösung scheint unmöglich. Und selbst wenn: Mir schwant, dass die Last dieses Konflikts sich auch mit Gerechtigkeit nicht auflösen ließe. Ich fürchte sogar, dass das Streben nach Gerechtigkeit hier ein wahrer Leichtigkeitskiller ist. Wo aber liegt dann der Schlüssel zu mehr Leichtigkeit?

Gerechtigkeit wird u.a. umschrieben als der Wille zu geben, was gebührt. Die Grundidee hinter dem Prinzip ist demnach, dass Menschen sich gegenseitig zu etwas verpflichtet sind oder, wenn man so will, sich etwas schulden. So gesehen wohnt der Gerechtigkeit mit der ihr eigenen „Schuld“ immer eine Last inne. Natürlich macht Gerechtigkeit das Leben auch leichter. Wer Gerechtigkeit erfährt, spürt in der Regel Zufriedenheit. Das Gleichgewicht der ausgleichenden Gerechtigkeit erzeugt Leichtigkeit. Doch selbst wenn ihr Zustand Leichtigkeit verheißt – das Herstellen von Gerechtigkeit bleibt mit einer Last verbunden und ist alles, nur nicht leicht.

Das wird umso deutlicher, wenn man sich klar macht, wie schwierig es ist zu beurteilen, was wirklich gerecht ist. Rechtsordnungen versuchen, Anhaltspunkte dafür zu liefern. Wer aber einmal in einen Rechtsstreit verwickelt war weiß, dass Rechtsprechung mitnichten Gerechtigkeit herstellt. Um Gerechtigkeit wird stets gestritten und gekämpft. Im Konfliktmanagement geht man davon aus, dass ab einer gewissen Eskalationsstufe eine von allen Seiten als gerecht empfundene Lösung nicht mehr möglich ist. Es gibt dann nur noch win-lose oder gar lose – lose-Lösungen. Jeder der Beteiligten hat seine Wahrheit, seine Vorstellung von Recht, sein Bedürfnis nach Ausgleich, Entschädigung und Genugtuung, das der andere kaum wird erfüllen können, ohne selbst wieder Einbußen in Kauf zu nehmen. Mindestens einer der Beteiligten geht als Verlierer vom Feld – und kehrt bei passender Gelegenheit dorthin zurück, um weiter zu kämpfen. Wer also auf der Durchsetzung seines Rechts, seiner eigenen Gerechtigkeit beharrt, hat gute Chancen, sich - und anderen! - das Leben schwer zu machen. Doch ist die Alternative wirklich die, in Konflikten auf sein Recht, auf Gerechtigkeit zu verzichten?

Sicher kann man aus einem Konflikt aussteigen, in dem man nachgibt und auf sein Recht verzichtet. Das tut der sprichwörtlich Klügere. Und schon ist wieder ein Gefälle aufgemacht, schon gibt es wieder einen „Gewinner“: Den Klügeren nämlich, der sich besser beherrschen kann. Der bereit ist, sich zum Opfer zu machen. Oder der sich arrogant aufs hohe Ross setzt und mit seiner Klugheit prahlt. Leichtigkeit kehrt hier mitnichten ein.

Ich glaube, der Ausstieg aus der Spirale der ewigen Vergeltung ist allein Vergebung. Was sehr pathetisch klingt, ist psychologisch betrachtet der Verzicht auf den Vorwurf einer Schuld sowie auf die Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts. Es ist nicht der Verzicht auf das Recht als solches. Vergebung bedeutet, um sein Recht zu wissen, es aber dem anderen nicht länger vorzuhalten und eben keinen Ausgleich einzufordern. Vergebung ist ein Verzicht auf Genugtuung. Vergebung schafft Leichtigkeit, weil der schwere Stein des Anstoßes – das nicht eingelöste Recht, das nicht wieder gut gemachte Unrecht – quasi pulverisiert wird. Vergebung braucht nicht – wie das „kluge Nachgeben“ - den Brocken der offenen Rechnung, um sich über den anderen erheben zu können. Vergebung pulverisiert diesen Brocken, weil sie bereit ist, sich von der Vorstellung zu lösen, dass andere etwas für das eigene Wohl tun müssen. Vergebung heißt nicht, auf Gerechtigkeit zu verzichten. Aber Vergebung schafft Leichtigkeit, weil sie nicht krampfhaft in Rechten denkt, sondern vor allem in Möglichkeiten. Zum Beispiel der Möglichkeit, inneren Frieden herzustellen. Ganz allein. Das ist das Praktische an der Vergebung: Man braucht dazu nur sich selbst. Sie ist unabhängig vom anderen und dessen etwaiger Reue. Vergebung ist damit eine Form von Gerechtigkeit, die so sehr auf das eigene Recht schaut, dass die Pflicht des anderen außer Acht gelassen werden kann. Vergebung heißt nicht vergessen, rechtfertigen, nachsehen, leugnen. Vergebung ist auch keine Versöhnung. Sie ist das selbständige Loslassen der Last eines erfahrenen Unrechts. Darin liegt der Schlüssel zur Leichtigkeit. Blöd nur, dass dieser Schlüssel ziemlich schwer ist…


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