Ich habe einen Kollegen, der ist Feedback-Fetischist. Nach jedem noch so belanglosen Einsatz bietet er freimütig sein Feedback an. In den seltensten Fällt wartet er meine Antwort ab, meist schießt er direkt los. Das „Schießen“ dürfen Sie hier fast wörtlich nehmen, denn regelmäßig treffen mich seine Rückmeldungen wie Kugeln aus einer Pistole. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er selten Positives zu vermelden hat, sondern mich gern lächelnd auf Punkte hinweist, in denen ich „nur noch besser“ werden kann. Obwohl ich das Spiel nun schon gut kenne, obwohl ich weiß, dass man aus jeder Kritik etwas lernen kann, obwohl ich weiß, dass Feedback für Wachstum und Entwicklung unerlässlich ist, verhageln mir diese „Entwicklungsangebote“ jedes Mal die Stimmung. Ich bin verletzt und habe alle Hände voll damit zu tun, meine Kränkungsgefühle unter Kontrolle zu halten. Das kostet soviel Kraft, dass für die Arbeit am eigentlichen Thema kaum etwas übrigbleibt. Allerdings bin ich nicht die einzige, die sich mit Feedback schwertut. Offenbar birgt Feedback erhöhte Verletzungsgefahr. Und so komme ich nicht umhin zu fragen: Kann man Feedback so gestalten, dass es nicht verletzt, sondern wirklich als Geschenk verstanden werden kann?
Machen wir uns nichts vor: Kritisches Feedback ist immer persönlich, so sehr es auch als subjektive Wahrnehmung des Feedbackgebers formuliert sein mag. Eine negative Beurteilung greift das Bild unseres idealen Selbst an. Daraus muss nicht zwangsläufig eine Kränkung erwachsen, wird es aber, wenn wir uns durch sie unterlegen oder ungenügend fühlen. Das ist umso mehr der Fall, wenn unser wunder Punkt getroffen wird und wir Dinge, die uns geschehen, als persönlich gegen uns gerichtet verarbeiten.
Besonders Letzteres macht Feedback im Arbeitsalltag knifflig und verlangt nach einem verantwortungsvollen Umgang mit Kritik seitens des Feedbackgebers. Aufgrund von Konkurrenz und Rivalität im Job können wir nicht sicher sein, ob Kritik wohlmeinend ausgesprochen wird oder als vorsätzliche Verletzung gedacht ist.
Entscheidend für ein annehmbares Feedback ist daher, eine gute Beziehungsbasis herzustellen. Das geschieht zum Beispiel dadurch, dass auch Positives ausgesprochen wird – idealerweise schon dann, wenn es geschieht, nicht erst, um Kritik damit etwas verdaulicher zu machen. Oder, indem man sich für etwas Gutes bedankt. Oder indem man achtsam ist im Hinblick auf mögliche wunde Punkte. Selbstkritischen Menschen etwa hilft man am meisten, wenn man ihnen ein wenig von der Scham nimmt, die sie für Fehler ohnehin schon empfinden.
Auch die Umstände, unter denen kritisches Feedback ausgesprochen wird, beeinflussen, ob es verletzungsfrei genommen werden kann. Wird pauschal oder vor anderen kritisiert? Präsentieren wir Lösungen und vermitteln damit das Gefühl, die Dinge besser im Griff zu haben? Als Feedbackgeber sollten wir uns immer fragen, warum wir meinen, Feedback geben zu müssen. Aus welcher Rolle heraus nehmen wir uns das Recht zu kritisieren? Steht es uns überhaupt zu, dem anderen in seiner Entwicklung behilflich zu sein? Und schließlich verrät jedes Feedback, das wir anbringen, etwas über uns selbst. Möglicherweise ist der Splitter, den wir bei anderen erkennen, die Spiegelung des berühmten Balkens im eigenen Auge.
Letztendlich aber birgt jedes noch so gut vorgebrachte Feedback die Gefahr der Selbstverletzung. Je mehr wir in unserer Selbstachtung getroffen sind, desto stärker wird unsere Kränkungsreaktion ausfallen. Um möglichst verletzungsfrei durch Feedbacksituationen zu kommen liegt es daher beim Feedbacknehmer, Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen, wunde Punkte zu versorgen und - wo nötig - Grenzen zu setzen. Es ist in Ordnung, Feedback auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen oder zurückzuweisen. Nicht jede Einschätzung von anderen muss zutreffen und wir dürfen uns dagegen wehren und Missverständnisse klarstellen.
Ich für meinen Teil werde künftig genau hinhören: Wenn ich meine Verletzung als Hinweis auf einen wunden Punkt verstehe, kann es mir tatsächlich dienlich sein. Wenn ich an meiner Kränkungsreaktion arbeite, bin ich am eigentlichen Thema dran. Wenn ich das Feedback als Hinweis auf den wunden Punkt des Kollegen verstehe, kann ich es vielleicht sogar als etwas Verbindendes betrachten. Und auf die Gefahr hin, dass es nicht nur nett gemeint sein sollte, kann ich ja mal ein freundliches Feedback zu seinem Feedbackgebahren anbieten.