Von Lust und Leidenschaft

Besser gut geschützt

Als ich begann, für die Rubrik zum Thema Leidenschaft im Internet zu recherchieren, fing ich mir ein Virus ein. Nicht die Grippe, sondern ein richtig übles Computervirus, das mich für gefühlte 800 Tage arbeitstechnisch außer Gefecht setzte und an den Rand des Nervenzusammenbruchs brachte.

Das Virus stammte von einer der vielen Sex-Seiten, auf die ich bei meiner unbedarften Suche gestoßen war.

Ich muss gestehen, dass ich schockiert war. Weniger, weil ich prüde oder zart besaitet wäre, sondern vielmehr, weil mir plötzlich klar wurde, wie sehr das Gefühl der Leidenschaft alltagssprachlich mit sexueller Begierde verbunden wird. Grundsätzlich ist gegen diese Verknüpfung natürlich nichts zu sagen. Schwierig wird es für mich aber, wenn der Begriff Leidenschaft quasi zum Synonym für Lust wird.

Ist Leidenschaft nicht unendlich viel mehr als ein ausgeprägtes sexuelles Verlangen?

Lust und Leidenschaft sind für meine Begriffe beides Grunddispositionen des Menschseins. Zum Menschen gehört seine Körperlichkeit. Teil davon ist nicht nur, Lust empfinden und schenken zu können. Nach Björn Sydow und seiner „Philosophischen Anthropologie der Leidenschaften“ ist auch die Leidenschaft bzw. ihr Ausleben ein Vorgang der körperlichen Wirklichkeit.

Lust wie auch Leidenschaft wohnt ein Begehren und Sehnen inne. Im einen wie im anderen kann man sich verlieren, beides kann den Menschen entflammen. Und beide Gefühle sind geeignet, bisweilen den Verstand auf Reisen zu schicken. Leidenschaft gipfelt in der Hingabe, sexuelle Begierde, wenn es gut geht, ebenfalls. Beides hat mit der der Überschreitung des Selbst zu tun. Beide Gefühle können Grenzerfahrungen verschaffen, die letztlich geeignet sind, ganz nah an die eigene Person heranzuführen.

Und dennoch ist das eine kein Synonym für das andere.

Sexuelles Begehren kann gänzlich leidenschaftslos und seelenlos bleiben, wenn es ausschließlich auf Befriedigung ausgerichtet ist. Und Leidenschaft unterscheidet sich von anderen Antrieben und Begierden gerade dadurch, dass es auf den Vollzug und nicht auf die Erfüllung oder das Erreichen eines bestimmten Zustands gerichtet ist. Leidenschaft will wie eine Flamme genährt werden und brennen, Lust hingegen will gestillt werden. Nicht zuletzt kann Leidenschaft für alles entbrennen, was Menschen tun können – nicht nur für sexuelle Aktivitäten.

Als leidenschaftlicher Mensch brenne ich dafür, das Gefühl der Leidenschaft aus der Schmuddelecke des Internets zu holen. Leidenschaft hat nichts damit zu tun, mit welchen neckischen Ideen man den Gatten nach Jahren der gemeinsamen Einsamkeit wieder neugierig macht. Leidenschaft hat damit zu tun, wie man dem Anspruch einer Sache oder Tätigkeit derart gerecht werden kann, dass, wie Sydow sagt, „das Handeln sich zu einem Ausschöpfen... des im Rahmen der Tätigkeit Möglichen steigert“. Leidenschaft bedeutet, alles zu geben, um ganz und gar im Tun aufzugehen. Nicht, um darin zu verschwinden, sondern um sich darin zu verwirklichen.

Allen, die sich mehr Leidenschaft in ihrem Leben wünschen, empfehle ich, das Tun zu genießen und das Haben und Halten Wollen so gut es geht in den Hintergrund zu stellen. Ich bin sicher, dass der Funke zündet.

Und sollten Sie doch neugierig geworden sein, was man beim Googlen von Leidenschaft in Internet findet: Tun Sie bitte, was Sie nicht lassen können. Aber stellen Sie vorher sicher, dass Ihr Rechner ausreichend geschützt ist.


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