Neulich hat mir ein Kollege erzählt, dass ein großer deutscher Konzern von den Bewerbern für ein Trainee-Programm keine klassischen Bewerbungsunterlagen mehr verlangt. Anschreiben, Zeugnisse, Lebenslauf – alles hinfällig. Stattdessen sind die Bewerber aufgefordert, ein Video von sich selbst einzuschicken. Damit sollen sie zeigen, wie gut sie sich präsentieren können, wie authentisch sie wirken, wie kreativ sie sind und nicht zuletzt, wie leidenschaftlich sie für den Job brennen. Grundsätzlich finde ich diese alternative Form der Bewerbung gut. Warum nicht eine Arbeitsprobe der besonderen Art einfordern? Was mich aber stört ist, dass einmal mehr Leidenschaft und Arbeit so miteinander verknüpft werden, dass Erstere als Erfolgs- und Gütekriterium für Letztere erscheint. Ist es wirklich so, dass erst Leidenschaft unsere Arbeit adelt und gut macht? Ist unsere Arbeit ohne Leidenschaft nichts wert?
Wenn Sie den Blick durch Stellenanzeigen schweifen lassen, drängt sich als Antwort ein „Ja“ auf. Leidenschaft ist ein wichtiges Auswahlkriterium – als Eigenschaft des Bewerbers genauso wie als Merkmal des Unternehmens, das sich dadurch von anderen unterscheiden soll.
Selbstverständlich ist der Zusammenhang zwischen guter Arbeit und Leidenschaft nicht völlig aus der Luft gegriffen. Wo Menschen leidenschaftlich am Werk sind, zeigen sie vollen Einsatz. Sie sind begeistert - noch so ein Buzzword aus Stellenanzeigen – bei der Arbeit, gucken nicht so genau auf die Uhr, identifizieren sich mit dem, was sie tun. Sie sind motiviert, mitreißend und meistens auch zufrieden. Das ist natürlich toll, für die Mitarbeiter wie für das Unternehmen. Beneidenswert also, wenn man das Glück hat, seine Leidenschaft zum Beruf machen und damit seinen Lebensunterhalt verdienen zu können.
Trotzdem glaube ich, führt Leidenschaft im Job nicht zwangsläufig zum Erfolg oder zur besseren Leistung.
Leidenschaftliche Mitarbeiter riskieren, Arbeit zu entgrenzen und sich zu überfordern. Es muss nicht gleich der Burn out sein, aber eine dauerhafte Überbelastung setzt die Leistungsfähigkeit herab.
Dazu kommt, dass leidenschaftliche Mitarbeiter bisweilen schwer „einzufangen“ sind. Wer schon mal mit einem echten Nerd gearbeitet hat, weiß wie schwer es ist, diesen im Interesse einer rechtzeigen Fertigstellung von seiner 500%-Lösung abzubringen. Und da selten alle Aufgaben einer Stelle mit Leidenschaft erledigt werden, ziehen sich besonders leidenschaftliche Menschen gerne in Nischen zurück oder kreieren Spezialaufgaben, die zwar leidenschaftlich verfolgt werden, aber nicht unbedingt im Interesse des Unternehmens liegen müssen. Nicht zuletzt suggeriert die allgegenwärtige Forderung von Leidenschaft, dass etwas nicht stimmt, wenn man seine Arbeit einfach nur gerne macht und nicht bedingungslos brennt. Verunsicherung und Entmutigung sind hier vorprogrammiert. Dabei gibt es viele andere Emotionen, die dazu beitragen können, dass Arbeit leichter von der Hand geht. Arbeit kann Freude bereiten oder Spaß machen, sie kann Sicherheit geben, wenn sie vorhersehbar ist. Sie kann Neugier befriedigen oder Bestätigung vermitteln. Auf Dauer vermittelt das eine Zufriedenheit, die mir für eine gute Leistung wichtiger erscheint als Leidenschaft.
So wunderbar Leidenschaft ist: Sie wird zum Motivationskiller, wenn sie auf Kosten anderer Antriebe überstrapaziert wird. Vor diesem Hintergrund plädiere ich leidenschaftlich dafür, hin und wieder ganz leidenschaftslos zu sein und mit quasi stoischer Freude anstehende Arbeiten zu verrichten.