Von Leichtigkeit als Haltung

Fast wie beim Ballett

Im vergangenen Jahr hatte ich einen ziemlichen Durchhänger, körperlich wie seelisch. Meine Ärztin empfahl mir, etwas mehr Leichtigkeit in mein Leben zu bringen. Das klang durchaus verlockend. Doch was Frau Doktor vermutlich mal eben so leicht dahin gesagt hat, war für mich mit etlichen Fragezeichen verbunden. Und so fiel das Thema immer wieder unter den Tisch. Bis zur letzten Woche. Da kam ich auf dem Boden eines überfüllten ICE neben einer Frau zum Hocken, die, genau wie ich, Beraterin ist, Mitte Vierzig, mit Kind und Kegel und ersten gesundheitlichen Schwächen. Und die angesichts der Schilderung ihrer momentanen beruflichen Entwicklung zu mir sagte: „Ich probiere gerade, mehr Leichtigkeit in mein Leben zu bringen.“ So entspann sich, irgendwo zwischen Nürnberg und Berlin und zwischen zwei Frauen in der Mitte des Lebens ein Philosophieren über die Leichtigkeit und was diese eigentlich ist. Eine Eigenschaft? Ein Gefühl? Eine Haltung? Oder all das zugleich?

Triviale Erkenntnis Nummer 1: Leichtigkeit ist die Eigenschaft, leicht zu sein, also entweder ein geringes Gewicht zu haben (auch im übertragenen Sinn) oder mühelos zu sein. Das bestätigt auch der Duden. Dementsprechend interpretierten wir Leichtigkeit als einen Zustand, in dem man weder Krisen noch Probleme – sprich: schwere Dinge – zu bewältigen hat. In dem alles unkompliziert, d.h. mühelos funktioniert und in dem man frei von Sorgen unbekümmert leben kann. Schnell waren wir uns einig darin, dass ein guter Teil davon umfeldabhängig und kaum zu beeinflussen, also eigentlich reine Glückssache ist. Und gleichzeitig dämmerte uns, dass das, was als schwer und belastend empfunden wird, individuell sehr verschieden sein kann. Dass es so etwas wie ein Gefühl von Leichtigkeit geben muss oder ein Vermögen, die Dinge leicht zu nehmen, um quasi leichtfüßig und unbekümmert durch die Unbilden des Lebens zu tänzeln.
Das führte uns zu Erkenntnis Nummer 2: Bei der Leichtigkeit nach der wir suchen geht es viel weniger um eine Eigenschaft als um ein Lebensfühl, das Ausdruck einer inneren Haltung ist.
Zu dieser Haltung scheint zu gehören, Gewicht nicht per se verringern zu wollen, sondern allenfalls zu relativieren. Wenn uns etwas Schweres widerfährt, dann immer auch deshalb, weil wir der Sache Gewicht verleihen, z.B. aufgrund viel zu hoher Erwartungen und Ansprüche. Ein gesunder Pessimismus, eine stoische Gelassenheit könnte helfen, den Dingen weniger Gewicht zu geben und sie somit leichter zu machen.
Leichtigkeit als innere Haltung bedeutet wohl auch, das, was schwierig ist und schwierig bleibt leicht zu „nehmen“, also gut in den Griff zu bekommen. Manches im Leben ist unhandlich und schwer, weil wir nicht wissen, wie wir es richtig anpacken sollen. Mit einem guten Training – sprich dem Blick darauf, welche Werkzeuge oder Techniken uns in der Vergangenheit geholfen haben, Schweres zu bewältigen – können wir Kraft und Tragfähigkeit entwickeln (manche nennen das auch Resilienz) und Dinge leichter anpacken. Dazu gehört auch, Last mit anderen zu teilen und sich beim Tragen unter die Arme greifen zu lassen.
Und nicht zuletzt beruht ein wesentlicher Teil dieser inneren Haltung der Leichtigkeit wohl auch darauf, sich zu gestatten, hin und wieder den tatsächlich leichteren Weg zu nehmen. Den Weg der Hilfe oder des geringsten Widerstands. Den Weg ohne Herausforderungen und ohne Perfektion, vielleicht auch ohne Glanz und Glamour und Eitelkeit. Dafür eben in Leichtigkeit.
Es ist fast ein bisschen wie beim Ballett. Die Leichtigkeit auf der Spitze entsteht durch Körperspannung und die richtige Haltung. Dafür braucht es jede Menge Training und hin und wieder den Partner, der einen stützt und hebt. Aber kein Ballett spielt ausschließlich auf der Spitze. Manchmal tanzt man nur die halbe Spitze. Das ist weniger aufsehenerregend. Aber deutlich leichter.

Nicht nur meine Mitfahrerin, auch ich fürchte, dass es schwer wird, Leichtigkeit in unser Leben zu holen. Gott sei Dank sind wir optimistisch genug, um darauf zu hoffen, den nötigen Pessimismus entwickeln zu können. Wir sind Perfektionistinnen genug, um, wenn es sein muss, nicht perfekt zu sein. Und wir haben immerhin schon die Leichtigkeit, über diese Paradoxien lachen zu können. Das ist doch eigentlich ein guter Anfang.


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