Vor ein paar Jahren erlebte ein Freund von mir ein berufliches Drama. Alles begann damit, dass sich in seiner Ehe ein schmerzhafter Trennungsprozess abzeichnete. Er vertraute sich seinem Chef an und bat um Verständnis dafür, dass er das gewohnte Arbeitspensum nicht mehr leisten konnte. Sein Chef verstand – er ersetzte meinen Freund in seiner Führungsposition kurzerhand durch einen jungen Kollegen. Als kurz darauf die Verkaufszahlen des Unternehmens zurück gingen, bezeichnet man ihn als „Underperformer“ und innerhalb eines Jahres fand er sich vom Geschäftsleitungsposten auf den Platz eines Projekt-Ingenieurs im unbeliebtesten Bereich des Unternehmens katapultiert. Mein Freund fühlte sich zutiefst gedemütigt und verletzt.
Von der Zeit damals erzählt er heute – es geht ihm wieder gut, er hat nicht nur einen neuen Job, sondern auch eine neue Frau - als der schwersten Krise seines Lebens, in der ihn die berufliche Kränkung viel stärker durchgerüttelt hat als die private. Mich macht das nachdenklich. Und ich frage mich, was genau berufliche Kränkungen so brisant macht.
Tatsächlich scheint das Verletzungspotenzial im Beruf besonders hoch. Nicht nur, weil wir schlicht viel Zeit am Arbeitsplatz verbringen, sondern vor allem, weil zahlreiche Konfliktanlässe die Arbeitswelt zum Minenfeld machen: Menschen können an Kompetenzunterschieden kranken oder mit ihrem Erfolg den Neid der Kollegen provozieren. Rollen können miteinander unvereinbar sein und innere wie äußere Konflikte heraufbeschwören. Strukturen besitzen Kränkungspotenzial, wenn z.B. bestimmte Stellen vorrangig mit Männern oder Frauen oder Amtsträgern besetzt werden oder wenn Mitarbeiter sich in Positionen wiederfinden, in denen sie nur scheitern können. Zum anderen können Kränkungen im beruflichen Umfeld weitreichende Konsequenzen haben. Sie sind kein rein persönliches Problem, sondern nehmen Einfluss auf die Qualität der Arbeitsleistung und der Zusammenarbeit. Wer angesichts einer Kränkung schmollend Dienst nach Vorschrift macht und den Kontakt zu den Kollegen abbricht, schadet nicht nur sich selbst, sondern dem gesamten Team. Und es gibt viel zu verlieren: mit dem Arbeitsplatz auch eine gesicherte Existenz.
Das eigentlich Besondere scheint aber zu sein, dass bei Verletzungen im beruflichen Kontext Sach- und Beziehungsebene eng miteinander verknüpft sind, aber nicht gleichermaßen bearbeitet werden können. Sachliche Lösungen, z.B. ein Aufhebungsvertrag statt einer Kündigung, lassen sich zwar meist finden und rational gut erklären. Sie tragen jedoch nicht unbedingt zu einer emotionalen Versöhnung bei. Im Gegenteil, durch die Demütigung oder den Gesichtsverlust verschlimmern sich seelische Verletzungen oft noch.
Die echte Heilung von Verletzungen wird immer persönlich, geht es dabei doch um die individuellen wunden Punkte. Es muss Raum dafür sein, Gefühle anzuschauen, Wut und Ärger zu überwinden. Eine Kränkung muss eingestanden werden können, was erstmal noch verwundbarer macht. Im Privatleben schaffen Sympathie, Freundschaft und Wohlwollen die für die Heilung nötige Vertrauensbasis. Im beruflichen Umfeld ist diese aber oft unsicher oder fehlt vollständig. Im schlimmsten Fall wird Vertrauen in von Wettbewerb und Macht geprägten Systemen sogar missbraucht. All das macht die Lösung der aus Kränkungskonflikten resultierenden Probleme im Arbeitskontext ungleich schwieriger als in anderen Beziehungen. Es macht die berufliche Verletzung oft langlebiger als die private. Was also kann man tun?
Die Betrachtungen rufen danach, Glaubenssätze unseres Wirtschafts- und Arbeitssystems, die auf der Annahme von Mangel und daraus resultierendem Wettbewerb zu beruhen scheinen, einmal zu hinterfragen. Das aber ist das ganz große Rad. Darauf muss man nicht warten.
Was man schon heute schon tun kann ist, sich auf anstehende Kränkungen einzustellen und sich zu rüsten. Sich gewahr sein, dass und wo es schmerzhaft werden kann. Wer damit rechnet, dass es Verletzungen geben wird, kann anders mit dem Schmerz umgehen. Aufmerksam sein, sich selbst und anderen gegenüber. Wer weiß, wo er besonders empfindlich ist, wird den eigenen Anteil am Kränkungsgeschehen leichter erkennen. Das hilft dabei, andere nicht mit den eigenen Altlasten zu beschweren und eine Eskalation zu vermeiden. Letztlich gilt es, das Visier zu öffnen. Nicht in den Kampf, sondern in den Friedensschluss zu ziehen. Das ist sicher nicht einfach. Aber möglich.