Nicht spielen – tanzen!  

Von Liebe und Macht

Neulich saß ich abends mit einigen Kollegen zusammen bei einem Glas Wein. Dabei kamen wir nach den üblichen Jobthemen natürlich auch auf Klatsch und Tratsch aus unserem gemeinsamen Netzwerk. Es gab einiges zu berichten. Über einen Kollegen, der gerade von seiner Frau verlassen worden war, gab es seltsame Gerüchte – interessanterweise von der Ex in den Kollegenkreis eingespielt. Und an anderer Stelle hatten sich zwei gefunden, von denen wir es nie vermutet hätten. Sie eine introvertierte junge Kollegin, er ein erfahrener alter Hase und eine – pardon – echte Rampensau. Wir philosophierten darüber, welche Menschen wie zusammenfinden und wie Beziehungen auseinander gehen. Wir fragten uns, welches Gefälle eine Beziehung aushalten kann und wie es kommt, dass sich manch einer in einer Trennung zum Rachegott entwickelt.

Was mir erst später am Abend, als ich in meinem Bett lag, klar wurde: Ohne das Wort in den Mund zu nehmen hatten wir die ganze Zeit über Macht gesprochen. Warum war uns das nicht aufgefallen? Und so kam ich nicht umhin zu fragen: Ist Macht im Kontext von Liebe indiskutabel? Wie passen Liebe und Macht zusammen? Und was genau hat das eine mit dem anderen zu tun?

Fragt man Menschen nach ihrer Vorstellung von einer liebevollen Beziehung, denken die wenigsten daran, dass das etwas mit Macht zu tun haben könnte. Ganz im Gegenteil. Macht ist für viele negativ besetzt und Phänomene wie Über- und Unterordnung, Zwang oder gar Machtmissbrauch passen schlecht zum weit verbreiteten romantischen Bild von Liebe und Partnerschaft. Schaut man jedoch genauer hin, ist kaum von der Hand zu weisen, dass Machtprozesse auch in Liebesbeziehungen eine Rolle spielen.

Am einfachsten zu erkennen geben sich Machtspiele meist in ihrer destruktiven Form - in offenen Konflikten, Rivalitäten und Abhängigkeiten. Wer setzt sich im Streit durch und wer gibt nach? Wer zeigt Stärke, weil er den größeren Freundeskreis hat? Und wer verfügt über das höhere Einkommen und kann dadurch in wirtschaftlicher Hinsicht den Ton angeben? Doch auch jenseits von großen Konflikten bestimmen laut Paartherapeut Wolfgang Krüger viele kleine, subtile Machtkämpfe den Alltag der Liebe. Vom notorischen Zuspätkommen über das nicht-Kommunizieren bis zur Flucht in die Krankheit üben Liebende auf unterschiedlichste Art und Weise Macht aus. Das erzeugt beim anderen ein Gefühl von Ohnmacht und führt, wird die Spirale nicht unterbrochen, zum Verlust jedweden Respekts und zur Trennung, die die Machtkämpfe aber oft erst richtig ausbrechen lässt.

Diese destruktive Form der Macht – ich nenne sie mal die „Macht über“ – kommt also häufig vor in Beziehungen – hat aber tatsächlich wenig mit Liebe zu tun. Sie gründet eher in wackeligen Selbstbildern, die stabilisiert werden müssen. Destruktive Macht versucht, das Ego zu stärken, ihm Raum zu verschaffen und das eigene Dasein mit Stärke zu rechtfertigen, nicht durch Zugehörigkeit. Ich-Stärke bis an die Grenzen (und darüber hinaus) und um jeden Preis.

Anders hingegen ist es, wenn Macht konstruktiv eingesetzt wird, im Sinne einer „Macht für“ etwas. Da wir solcherart Macht meist nicht erwarten, übersehen wir sie leicht. Die „Macht für“ sucht Möglichkeiten, Dinge zu gestalten. Es ist die Macht, etwas entstehen und wachsen zu lassen. Sehr deutlich wird es da, wo Paare Leben schöpfen, wenn Sie ein Kind zeugen. Viel häufiger aber kommt sie im Stillen und Unscheinbaren: Die Möglichkeit, am anderen zu wachsen. Die Chance, am Du zum Ich zu werden. Die Gelegenheit, den anderen über sich selbst hinauswachsen zu lassen und ihm dabei zur Seite zu stehen. 

Ich bin überzeugt, dass diese Art der Macht nicht nur etwas mit Liebe zu tun hat, sondern regelrecht ein Teil von Liebe ist. Liebe will das Ich, das Du, das Wir, das Mehr. Liebe will integrieren und Liebe will Leben, über die Grenzen des Egos hinaus in der Verbindung mit anderen. Liebe ist Macht. Aber sie ist eben auch ganz und gar ohnmächtig, weil sie nichts erzwingen will und uns in unserer Verletzlichkeit anderen ausliefert - im Vertrauen darauf, dass Macht eben nicht missbraucht wird. Liebe ist kein Machtspiel, bei es um gewinnen oder verlieren geht. Sie ist eher ein Machttanz. Ein Zusammenkommen, um aus den Möglichkeiten der Beteiligten etwas entstehen zu lassen, das über die Beteiligten hinaus geht. Eine liebvolle Beziehung hat sehr viel mit Macht zu tun. Mit „Macht für,“ die uns Bewegung abverlangt, die fragil ist, aber auch kraftvoll. Und die uns schöpferisch leben lässt.


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