Ganz schön verquickt

Von Selbstachtung und Schönheit

Neulich, beim Bummeln durch die Geschäfte, stolperte ich über ein traumhaft schönes Paar hellblauer Wildleder-Pumps. Obwohl das so ziemlich das letzte war, was in meinem Kleiderschrank gerade fehlte, konnte ich nicht widerstehen und probierte sie an. Butterweiches Leder umschloss meinen Fuß und den kurzen Weg zum Spiegel legte ich trotz des 12 cm - Absatzes wie auf Wolken zurück. Die Schuhe sahen fabelhaft aus und genauso fühlte ich mich plötzlich auch. Meine Proportionen schienen ein wenig gleichmäßiger, meine Füße elegant gestreckt, meine Haltung viel aufrechter – ich war hingerissen. Die Verkäuferin lachte mich an. „Sieht toll aus! Da steigt gleich die Achtung vor einem selbst, oder?“ Ich konnte nichts sagen, strahlte nur. Denn tatsächlich: Obwohl ich außer den Schuhen ja nichts verändert hatte, fühlte ich mich schön und stark. Der Schuh hatte nicht nur meinen Look verändert, auch meine Ausstrahlung war eine andere. Während ich überlegte, ob ich trotz des nicht ganz günstigen Preises zuschlagen sollte, beschäftigte mich auch die Bemerkung der Verkäuferin. War ich wirklich wegen des hübscheren Spiegelbildes plötzlich selbstbewusster? Und: Welche Bedeutung haben dann Schönheit und Stil für unsere Selbstachtung?

Zweifellos hat unser Erscheinungsbild Einfluss auf unser Selbstwertgefühl. Nicht ohne Grund wird seit Menschengedenken mit allen Mitteln nach Schönheit gesucht. Schönheit war und ist erstrebenswert, denn sie bringt - ob es uns passt oder nicht - Vorteile mit sich. Hübsche Kinder erfahren in der Schule mehr Nachsicht und gutaussehende Erwachsene gelten nicht nur als glaubwürdiger, oft werden sie auch besser bezahlt als ihre minder attraktiven Kollegen. Studien belegen das. Schönheit ist auch ein Statussymbol. Wer es sich leisten kann, durch entsprechende Ernährung und sportliche Betätigung jugendlich und vital rüberzukommen, gilt als leistungsbereit und leistungsfähig. Wer luxuriöse Modelabels trägt, beweist seinen exklusiven Geschmack (bzw. seine Kaufkraft). Und selbst, wo es weniger um den Preis geht – über den Kleidungsstil drücken wir nicht nur unseren individuellen Geschmack, sondern oft auch unsere Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe aus. Schönheit und Stil sichern uns also die Akzeptanz und Geneigtheit unseres Umfeldes und zahlen auf unseren Status ein. Und sind dabei dankenswerter Weise Merkmale, die sofort ins Auge fallen. All das sind Aspekte, die die Selbstachtung positiv beeinflussen und stärken können.

Umso verwunderlicher, dass viele objektiv schöne Menschen sich äußerst kritisch betrachten und unter einer geringen Selbstachtung leiden. Und dass umgekehrt so mancher mit gewöhnlichem Äußeren selbstbewusst und strahlend daherkommt. Ist es vielleicht nicht nur die Schönheit, die die Selbstachtung stärkt, sondern vor allem die Selbstachtung, die uns schön erstrahlen lässt?

Schönheit liegt im Auge des Betrachters - im eigenen, vor allem aber in dem der anderen, denn sie ist ein äußeres Merkmal. Ob wir als schön gelten, ist nicht nur eine Frage unseres Anspruchs an uns selbst, sondern leider auch der Bewertung und Bestätigung von außen. Diese mischen sich gern mit unseren eigenen Vorstellungen und sind zudem, da abhängig von der Zeit und vom sozialen Milieu, sehr wechselhaften Kriterien unterworfen. Soweit wir empfänglich sind für eben diese Bewertung und Bestätigung von außen stärkt Schönheit unsere Selbstachtung. Allerdings ist sie eine fragile Stütze, denn sie kann uns jederzeit entzogen werden.

Selbstachtung liegt viel weniger im Auge des Betrachters. Als innere Haltung beschreibt sie unser Verhältnis zu uns selbst. Wie sehr wir uns achten, ist abhängig von unserem Vertrauen in unseren Wert und davon, wie sehr wir unseren Erwartungen an ein geglücktes Leben zu entsprechen vermögen. Wer mit sich im Reinen ist, kann attraktiv strahlen. Im Zusammenhang mit unserem Wertegerüst kann Selbstachtung auch ein Kompass sein, der hilft, zwischen Eitelkeit und Nachlässigkeit zu balancieren und auf uns zu achten. Auf diese Weise macht sie schön, weil es uns mit ihr gelingt, uneitel für uns zu sorgen und uns zu pflegen.

Ein wenig gemein erscheint bei dieser Verquickung, dass, wer schön ist, theoretisch immer schöner werden kann. Aber eben nur, wenn die Selbstachtung sich nicht ausschließlich aus der Bestätigung der Schönheit speist.

Schönheit ist, das sagt mit nicht zuletzt meine Selbstachtung, nicht alles im Leben. Und das ist gut so. Für den Notfall aber habe ich die Schuhe trotzdem mal gekauft.


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