Ganz schön schwierig

Was wahre Liebe nicht ist

Vor einer Weile sprach ich mit einer Freundin über ihre Ehe. Sie erzählte vom Beginn ihrer Liebe. Vom unspektakulären Kennenlernen im Rahmen eines Austauschprogramms. Vom intensiven Gedankenaustausch, einem lockeren Abend mit Freunden, an dessen Ende beide entschieden, gemeinsam nach Hause zu gehen. Obwohl er gar nicht ihr Typ war und auch sie eigentlich nicht dem Bild seiner Traumfrau entsprach, entspann sich etwas. Und daraus wurde eine Ehe. Meine Freundin sagte, es sei wie eine warme Welle gewesen, die sie mitgenommen habe. Nach vielen verunglückten Beziehungsversuchen habe sich das mit ihrem Mann unendlich einfach angefühlt. Und daher habe sie gewusst: Es sei Liebe.

Ich war beeindruckt. Einfach zu lieben war mir, zumindest bis dato, ein eher wenig vertrautes Konzept.

Und ich kam nicht umhin zu fragen: Warum nehmen wir die Liebe oft so schwer? Kann sie nicht auch ganz einfach sein? Und: Erkennen wir wahre Liebe vielleicht genau daran, dass sie einfach ist?

Selbst wenn ich von meiner persönlichen Erfahrung einmal absehe - beim Blick auf die Literatur zur Liebe bestätigt sich der Eindruck, dass die Sache kompliziert ist. Google spuckt 47 Millionen Einträge zum Schlagwort Liebe aus. Kaum ein namhafter Philosoph, der sich keine Gedanken zum Thema gemacht hätte. Liebe scheint unendlich vielschichtig. Tugend, Haltung, Weg zu Gott, Ektase und Erotik, Freundschaft, Fürsorge, Gefühl oder Kunst. All das und noch viel mehr sind Seiten eines Phänomens, das, wie kaum ein anderes, unser Leben beeinflusst. Lieder, Romane, Filme spielen so gut wie immer mit der einen oder anderen Form von Liebe und ihren Gefühlsregungen. Meistens mit denen, die nicht ganz so einfach sind.

Ein Grund dafür könnte sein, dass wir in unserem kulturellen Kontext Liebe überwiegend mit Beziehung und Partnerschaft verbinden und diese wiederum eng mit dem Konzept der Romantik verknüpft haben. Dies ist verführerisch, weil so schön gefühlig und herzerwärmend. Angefangen beim scheinbar übermächtigen, schicksalshaften sich Zueinander hingezogen fühlen über das Bild lebenslanger Leidenschaft und Verliebtheit bis zur Idee, dass wahre Liebe jede Einsamkeit beendet, weil der geliebte Mensch uns alles, vor allem aber Seelenverwandter sein muss. Damit geht die romantische Liebe jedoch von Prämissen aus, die eine völlig verzerrte Idealvorstellung von glückender Partnerschaft vermitteln und stellt uns in puncto Beziehung vor eine überaus schwierige Aufgabe. Dass sie obendrein so tut, als sei das alles ganz einfach zu haben, wenn nur der Richtige vor uns stünde, macht sie Sache nicht besser.

Und so fürchte ich, meine Freundin ist trotz des eher unromantischen Starts in ihre Beziehung in die Romantikfalle getappt: Wenn es einfach ist, ist es der Richtige. Ich habe Zweifel. Nicht zuletzt, weil – hatte ich es erwähnt? – die beiden mittlerweile wieder geschieden sind.

Und auch wenn wir auf Liebe jenseits von Partnerschaft und Romantik blicken, bleibt sie schwierig, weil widersprüchlich. Wir können die Liebe eines Menschen nicht machen, schon gar nicht erzwingen. Gleichwohl können wir uns, vor allem, wenn wir Liebe weniger als Gefühl und mehr als Aktivität verstehen, entscheiden, zu lieben und Liebe säen. 

Liebe ist eine Kraft, die Ketten sprengen, Mauern einreißen und befreien kann, etwa wenn es uns gelingt, nach einem Streit auf den anderen zuzugehen und um Verzeihung zu bitten oder eine Bitte um Entschuldigung anzunehmen. Gleichzeitig ist Liebe ohnmächtig, wenn sie auf blinde Wut trifft oder ihren größten Gegenspieler, die Angst. Ohne einen Hauch von Selbstliebe können wir andere nicht lieben, aber zugleich ist Liebe genau die Fähigkeit über sich selbst hinauszudenken und selbstlos zu handeln.

Liebe ist ein Gefühl, das sich in tausend Worten nicht abschließend fassen lässt und sie ist eine Kunst, die wir unser Leben lang üben dürfen. Angesichts der Fülle von Perspektiven erscheint mir kaum beschreibbar, was wahre Liebe ist. Die vielen offenen Fragen sind geeignet, sie schwer zu machen.

Vielleicht besteht die Kunst wahrer Liebe deshalb genau darin, weniger danach zu fragen, was wahre Liebe ist? Oder damit aufzuhören, wahre Liebe zu suchen?

Was, wenn wir uns nicht absichern, sondern einfach etwas wagen würden? Einfach machen eben. Im Zweifelsfall feststellen, dass es nicht das Erhoffte ist, sondern etwas anderes. Und dann einfach weiterlieben.


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