Kirchliche Organisationen pflegen einen eher passiven Umgang mit Konflikten. Verständlich, sind diese doch alles andere als angenehm. Dabei kann mit Mitteln, die Mitglieder kirchlicher Organisationen in der Regel gut beherrschen – Reflexion und Gespräch – viel getan werden für einen professionelleren Umgang mit herausfordernden Situationen.
Die meisten Organisationen haben eine Abneigung gegen Konflikte – kirchliche Organisationen eine ganz besonders große. Vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Besonderheiten – Gebot der Nächstenliebe und daraus fließender Altruismus, Opferbereitschaft und das Konzept der Dienstgemeinschaft – werden Konflikte vermieden. Symptome dafür sind dafür z.B. die häufig fehlende Schwerpunktsetzung oder der Verzicht auf eindeutige Ziele, die Duldung von Marotten, ein zurückhaltender Umgang mit Feedback sowie der Verzicht auf Leistungskontrolle. Konflikte werden zum Problem Einzelner gemacht. Oder sie werden unbeholfen beackert. Oft reißen dabei neue Wunden auf.
Die Konsequenz: Die Gemeinschaft, die eigentlich geschützt werden soll, bröckelt, von Wertschätzung ist wenig zu spüren. Ehren- wie hauptamtliche Mitarbeiter sind frustriert, ziehen sich in Nischen zurück oder machen „Dienst nach Vorschrift“. Energie und Gestaltungswille versickern im Nebel der Wirkungslosigkeit. Die Organisation bleibt deutlich hinter ihren Leistungsmöglichkeiten zurück.
Konfliktmanagement als Weg der Umkehr
Konfliktbehandlung ist das Zauberwort, das Berater hier gern ins Spiel bringen. So häufig der Appell zu professionellem Konfliktmanagement zu hören ist, so groß scheint die Abneigung gegen eine intensive Auseinandersetzung mit kritischen Punkten.
Konflikte verweisen auf Strukturmängel und Systemfehler, auf Missverständnisse, persönliche Interessen, Bedürfnisse, auf Abgründe. Allein der Blick dorthin kann brennen. Arbeit an Konflikten stört vertraute Abläufe, belastet Einzelne und Teams, kostet Nerven, Zeit und Geld. Leider gilt das aber auch dann, wenn Konflikte (und ihre Beteiligten) sich selbst überlassen werden. Der Aufwand an Kraft und Zeit verringert sich nicht. Die Frage ist daher: Zu welcher Zeit und zu welchem Thema soll Energie eingesetzt werden? Und wo ist sie sinnvoller investiert? Im Fortschreiben der Konfliktspirale oder in Schritten, die – vielleicht – hinaus führen aus einem Schlagabtausch, hinein in eine konstruktive Lösungssuche und sicherlich hin zu einer Entscheidungsmöglichkeit.
Konfliktarbeit bietet die Chance, zurück zu finden zu einem Miteinander und echte Wertschätzung zu leben. Empathie wird wieder möglich, ebenso ein Neuanfang.
Wer kann was tun? Alle sind gefragt
Der erste Schritt zur Versöhnung ist immer das Hinschauen. Nur ein Konflikt, der von mindestens einem der Beteiligten als solcher gesehen wird, kann behandelt werden. Also: Hinsehen, zulassen, dass es Meinungs-verschiedenheiten und unterschiedliche Interessen gibt. Erkennen, dass man Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven verschieden betrachten muss. Sich selbst bzw. die Organisation nicht durch andere Standpunkte in Frage gestellt oder bedroht sehen. Hier hilft die Haltung des Ethnologen, der fremde Stämme entdeckt und interessiert deren Andersartigkeit betrachtet. „Aha, so machen die das hier.“
Diese Haltung tut allen Gliedern einer Organisation gut. Zweifellos sind jedoch Leitungsverantwortliche allen voran gefordert, sie einzunehmen und zu leben.
Aus dieser entspannten Haltung der Neugier und des echten Interesses ergeben sich drei Handlungsräume, die allen in einer Organisation offen stehen. Hier kann jeder aktiv werden. Mehr noch: Ohne das verantwortungsvolle Mitwirken der Mitarbeiter sind Leitungsverantwortliche hilflos.
Drei Handlungsräume
Prävention statt später Eingriff
Der Grundgedanke: Klarheit und ein gemeinsames Bild von Zielen und Aufgaben beugen Missverständnissen vor, helfen Vertrauen aufzubauen und beugen Konflikten vor. Wichtiger Baustein dafür ist die Selbstreflexion.
Was sind meine persönlichen Interessen, welche Motive treiben mich an, welche Bedürfnisse habe ich?
Nur, wer hier für sich selber Antworten hat, sich selbst erkennt, gewinnt Sicherheit und Souveränität im Umgang mit anderen. Mitarbeiter kirchlicher Organisationen sind hier in der Regel gut geschult. Überwindung kostet sie eher der nächste Schritt: Bedürfnisse nicht tabuisieren, sondern benennen, Rollen, d.h. gegenseitige Erwar-tungen, klären. Wer will / braucht was von wem, um seiner Aufgabe gerecht zu werden?
Eine Rollenklärung ist einfach aber nicht trivial. Im Hinblick auf ein gemeinsames Tun (und auf ein spätestens hier zu formulierendes gemeinsames Ziel) werden gegenseitige Erwartungen thematisiert und verhandelt. Wie soll die Zusammenarbeit gestaltet werden, um das gemeinsame Ziel zu erreichen? Hilfreich kann es sein, allgemeingültige Stellen-beschreibungen als Grundlage solcher Gespräche zu nutzen. „Regeln“ der Zusammenarbeit sollten festgehalten werden, z.B. als Antworten auf Fragen wie „Wer hat die Hol- oder Bringschuld, wenn es um Informationen geht?“, „Wie soll im Team mit Abwesenheiten umgegangen werden?“ oder „Nach welchen Kriterien wollen wir im Team Arbeit verteilen?“
Letzter Baustein im Rahmen der Prävention ist schließlich die Art und Weise der Kommunikation. Wer Kommunikationsregeln aus Konzepten wie z.B. der TZI (Themenzentrierte Interaktion) oder der gewaltfreien Kommunikation aktiv nutzt, kann besser bei sich bleiben und minimiert das Risiko, übergriffig zu werden. Wer erklärt, warum er fragt, macht sein Handeln nachvollziehbarer. Wer bittet statt zu fordern, lässt Raum für Entscheidungen. Ein solcher Umgang miteinander erfordert Umsicht und Bedacht. Er ist anstrengend. Konflikte sind es aber auch, nur deutlich unangenehmer.
Brücken bauen
Wo es trotz aller Umsicht zu Verhärtungen kommt, sollte rasch gehandelt werden. Erster Schritt für Konflikt-beteiligte wie für andere Betroffene (das Umfeld, die Vorgesetzten): Den eigenen Handlungsspielraum klären. Bis wohin kann ich / können wir das Thema bearbeiten, welche Fragen kann ich / können die Beteiligten entscheiden, wofür müssen andere handeln?
Hier ist es verführerisch, andere für zuständig und sich selbst zum Opfer der Umstände zu erklären. So ist man das Problem scheinbar schnell los. Tatsächlich ist man vorerst um die Mühe der Lösungssuche erleichtert. Vor allem aber um die Möglichkeit, selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu handeln. Entscheidet man sich für die Eigenverantwortung gilt es, die Gesprächshaltung zu prüfen. Hilfreich für das Brücken bauen ist es, nicht den anderen zum Problem zu erklären, sondern das gemeinsame Thema in den Mittelpunkt zu stellen.
In der Gesprächsführung selbst kommt es dann darauf an, Position zu verlassen und nach Interessen zu fragen. Während Positionen nicht verhandelbar sind, können Interessen auf unterschiedliche Art und Weise befriedigt werden. Das Harvard-Konzept von Fisher, Ury, Patton gibt hier gute Hilfestellungen.
Hilfe holen
Ab einem gewissen Grad der Eskalation sind die Beteiligten nicht mehr in der Lage, das Problem ohne Hilfe von außen zu behandeln. Dann ist das Einschalten eines neutralen Dritten als Konfliktvermittler sinnvoll. Das kann ein Vorgesetzter sein. Sollte es sogar, wenn der Konflikt nur noch über einen Machteingriff geregelt werden kann. Es sollte ein externer Vermittler sein – extern heißt hier: mindestens jenseits des betroffenen Arbeitsbereichs, besser noch jenseits der Organisation, um jedem Verdacht der Parteinahme vorzubeugen – solange die Beteiligten noch selber nach Lösungen suchen können.
Wichtig ist, Entscheidungen zu treffen, die den Scherbenhaufen verlassen und einen Neuanfang ermöglichen. Für alle Beteiligten gelten hier die drei Entscheidungsebenen, die bisweilen zynisch klingen, aber auch die Freiheit der Entscheidung und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen:
Love it – akzeptiere, was ist – Was kannst Du tun, um anzunehmen was ist?
Change it – ändere es, wenn Du es nicht hinnehmen oder aushalten willst oder
Leave it – lass es zurück, wenn Du es nicht ändern kannst.
Verbindung durch Trennung
Die Wege der Konfliktarbeit zeigen, wie paradox der Umgang mit Konflikten ist. Konflikte trennen und verbinden zugleich. Festgebissen am selben Thema verlieren die Beteiligten jeglichen Kontakt zueinander. Verbindung wird hergestellt, wenn auf Trennendes geschaut wird.
Kirche ist eine Organisation, deren Kernbotschaft ein Paradox ist. Sie ist im Umgang mit Paradoxien geübt. Konfliktarbeit könnte das sein, worin sie anderen etwas vormacht. Die Voraussetzungen sind da. Mit etwas Mut können sie genutzt werden.
Christiane Gülcher, Was tun, wenn's schwierig wird? Tipps für den Umgang mit Konflikten, in : Anzeiger für die Seelsorge 11/2012