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Change Management und Chancen Management

Wie Lebenskrisen die innere Widerstandskraft stärken können

Manche Menschen zerbrechen an Krisen und Misserfolgen, andere stecken Rückschläge und Niederlagen scheinbar unbeschadet weg. Ungebeugt marschieren sie durchs Leben. Nicht genug, sie erklären Krisen zur Chance. Wie gelingt es, die Tiefen des Lebens solchermaßen als Herausforderung und Möglichkeit zum Wachstum zu begreifen?

Diesen Sommer ist es wieder passiert: Die Elbe überschwemmt ganze Landstriche, Dörfer verschwinden in den Fluten. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre verlieren manche Familien ihr Zuhause, Landwirte und Gaststättenbetreiber ihre Existenzgrundlage. Das Fernsehen zeigt ergreifende Bilder von Menschen, die weinen, die mit angstvollen Blicken in ihre zerstörten Häuser zurückkehren, die sprachlos und verzweifelt sind angesichts des Schicksals, das sie buchstäblich überflutet und in eine Krise gestürzt hat. Umso überraschender Beiträge von Betroffenen, die sagen „Es wird schon weiter gehen. Jetzt bauen wir eben wieder auf“.

Weniger Aufsehen erregend in den Medien, für den Betroffenen aber ebenso gravierend wie die Auswirkungen einer Naturkatastrophe: Etwa der Verlust des Arbeitsplatzes, eine schwere Erkrankung, der Tod eines Angehörigen, die Erkenntnis, dass der Partner seit Jahren fremd geht oder die ausgebliebene Beförderung.

Ein Blick auf die unterschiedlichen Situationen und Reaktionen macht deutlich: Es geht um jeweils ganz persönliches Leid. Was eine Krise ist und was nicht, wird völlig unterschiedlich erlebt. Ob eine Situation als Krise erfahren wird, liegt im subjektiven Empfinden des Einzelnen.

Was ist überhaupt eine Krise?

Ob unvermittelter Schicksalsschlag, krisenhafte Situation, die man hätte kommen sehen können oder „bloß“ ein Misserfolg – gemeinsam ist allen Krisen zunächst das Gefühl, dass der Atem stockt. Nichts ist mehr, wie es war. Im Kampf gegen die Veränderung will man kaum wahrhaben was geschieht, ist wie gelähmt. Wenn dann die Gefühle aufbrechen, machen sich oft Wut, Selbstzweifel und Hoffnungslosigkeit breit. Die Kontrolle übers eigene Leben verloren, ohne Halt, wie bei einem Sprung ins Leere, herrschen Angst und Verzweiflung. Viel Kraft kostet es, jetzt nach Lösungen zu suchen, nicht aufzugeben, um schließlich Stück für Stück Boden zurück zu gewinnen und die Situation anzunehmen, ihr vielleicht sogar einen Sinn abgewinnen zu können. Eine emotionale Achterbahnfahrt wird durchlebt.

Sehr viel nüchterner definiert der Duden die „Krise“ als „eine schwierige Lage, Situation oder Zeit, die den Höhe- oder Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt“. Hergeleitet aus dem griechischen krisis oder krinein geht es auch ums Trennen oder (Unter-)Scheiden. Einen Scheideweg also. Ein Punkt der Entscheidung, eine Veränderungssituation. Trennen, entscheiden, verändern – alles Dinge, die nicht unbedingt angenehm sein müssen. Handhabbar sind sie allemal.

Persönliches Change Management als Weg aus der Krise

Unabhängig von möglichen Ursachen einer Krise gibt es Schritte, die Stück für Stück ins Leben zurückführen können. Bei dieser Form des persönlichen Change Managements geht es darum, auf Grundlage eines möglichst klaren Blicks auf die missliche Lage nach individuell passenden Lösungen zu suchen und diese Schritt für Schritt zu verfolgen. Soweit, dass schließlich eine veränderte Situation eingetreten ist, an der man mitgearbeitet hat. Im Idealfall jedoch noch einen Schritt weiter: Dass man erkennt, warum die Veränderung notwendig war, wofür sie vielleicht gut war, wie sie sich ins Leben fügt. Welche Chancen sie bietet.

Hinschauen oder: die Situation analysieren

So paradox es klingt: Um zu einer nüchternen Betrachtung fähig zu sein, gilt es zunächst, die Situation inklusive aller damit verbunden negativen Gefühle zu akzeptieren. Es gilt der Klassiker des Change Managements: Mit dem Widerstand, nicht gegen ihn arbeiten. Wer aufhört, gegen die Situation und die eigenen Gefühle zu kämpfen, spart seine Energie für die Suche nach Wegen aus dem Problem.

Weiß man erst, was Angst macht und worin genau die schlechten Gefühle bestehen, kann man nach Ressourcen fahnden: Gab es vergleichbare Situationen in der Vergangenheit, die man bewältigt hat? Welche Probleme hat man schon überwunden? Was hat damals Kraft und Mut gespendet? Wer könnte als Vorbild dienen für das Meistern von Schwierigkeiten? Wo findet man Gehör und Verständnis? Wer könnte einen bestärken?

Aktiv werden oder: Veränderung gestalten

Wer Veränderungen gestalten will, braucht den Glauben daran, sie gestalten zu können. Wichtige Voraussetzung hierfür ist, den eigenen Anteil an der Krise realistisch einzuschätzen. Schuldgefühle und Selbstvorwürfe gehören zum Durchleben von Krisen hinzu. Je besser es aber gelingt, den Blick auch auf externe Ursachen zu richten, umso eher kann das Selbstwertgefühl und Vertrauen in die eigene Kraft zurückkehren. Zugleich bedeutet der unverklärte Blick auf die eigene Verantwortung aber auch, die Opferrolle zu verlassen. Hier geht es darum, den persönlichen Handlungsspielraum zu erfassen. Mühsam, aber hilfreich ist es, sich hierfür von Formulierungen wie „Das funktioniert nicht.“; „Womit habe ich das verdient?“ oder „Das überstehe ich nie!“ zu verab-schieden. Stattdessen gilt es, sich auf das zu konzentrieren, was angesichts der Umstände möglich ist. Das verlangt nicht nur eine Menge Kreativität, sondern auch das Wissen darum, was man eigentlich wirklich will.

Schritt für Schritt gehen oder: Lösungen bestärken und nachhalten

Hat man einen - oder gar mehrere - Lösungsansätze gefunden, sind kleine Schritte sinnvoll. Unternehmen sprechen hier gern von „quick wins“, Zielen, die schnell und unkompliziert erreicht werden können und Fortschritt deutlich machen. Im Kern geht es darum, weitere Frustration durch Überforderung zu vermeiden und mittels kleiner Erfolge Zuversicht aufzubauen. Klein gesteckte Ziele sind schneller erreicht und bestärken darin, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.

Hilfreich ist auch, im Sinne eines guten Risikomanagements Rückschläge einzuplanen. So plump es klingt: Unverhofft kommt oft. Gerade erst hat man heftig zu spüren bekommen, dass das Leben Überraschungen bereithält. Nicht alles ist planbar. Wer sich darauf einstellt, wird weniger leicht aus der Bahn geworfen. Gleichzeitig gilt auch hier: Man darf auch mit positiven Überraschungen rechnen.

Rückschau halten oder: Die Veränderung evaluieren

Gelangt das Leben wieder in ruhigere Fahrwasser, lohnt ein Rückblick: „Was ist eigentlich genau passiert?“,  „Warum war die Krise eine Krise für mich?“ „Welches Konzept in meinem Leben hat sie auf den Kopf gestellt?“ „Wie geht es mir jetzt?“, „Was habe ich verloren, was gewonnen?“ Derlei Fragen helfen, der Krise einen Sinn zu geben, herauszufinden, wofür sie gut war. Was im Moment größter Verzweiflung zynisch klingt, kann jetzt dazu beitragen, die überstandene Notlage als wichtigen Teil des Lebens zu begreifen und das persönliche Wachstum zu fördern.

Vom Change Management zum „Chancen Management“

Was sich wie eine simple Checkliste liest, zeigt sich im echten Leben als mühsames Vorantasten. Es braucht Hartnäckigkeit und Disziplin, Geduld und starke Nerven, den Willen, sich der schwierigen Lage zu stellen und nicht zuletzt den Mut, Rückschläge hinzunehmen.

Während manche Menschen in Wut und Verzweiflung stecken bleiben, krank werden und an den Umständen zerbrechen, gibt es andere, die sich wie Stehaufmännchen immer wieder aufrichten. Die scheinbar mühelos abspulen, was hier als Krisenbewältigungsstrategie beschrieben ist. Die Psychologie beschreibt diese Fähigkeit als Konzept der Resilienz. Eine Art seelisches Immunsystem, das hilft, Lebenskrisen ohne langfristige Beeinträchtigung zu überstehen, ein intuitiver Fahrplan durch turbulente Wasser des Lebens.

Resiliente Menschen haben der emotionalen Gemengelage in Krisensituationen etwas entgegen zu setzen:

Haltungen, die es möglich machen, ohne Zynismus Probleme als Herausforderungen, Krisen als Chancen zu sehen. Besonders der letzte Schritt der dargestellten Krisenbewältigung, die Rückschau auf die Krise, kann Ressourcen offen legen und Haltungen schulen, die innerlich stark machen. Schlichtes Change Management kann so zum „Chancen Management“ werden.

Auf die Haltung kommt es an

Widerstandsfähige Menschen sind getragen von der Überzeugung, Einfluss auf das eigene Leben zu haben. Der Glaube daran, selbst etwas bewirken zu können und nicht Opfer der Umstände zu sein, ist ihr Motor. Also: Auch wenn unvorhergesehene Dinge eintreten: Es bleibt immer ein Handlungsspielraum und ist er noch so klein. Wer einmal eine Krise bewusst durchgestanden hat, wird es auch mit der zweiten Krise aufnehmen.

Eng verbunden mit dem Glauben an die Selbstwirksamkeit ist das Vertrauen in die eigene Stärke. Das wächst dort besonders gut, wo auch andere an einen glauben. Wo man sicher gehen kann, nicht allein zurück zu bleiben, wenn es einem schlecht geht. Wo man wagen darf, um Hilfe zu bitten, ohne als Schwächling zu erscheinen. Ein stabiles soziales Netzwerk, enge emotionale Bindungen zu anderen Menschen sind wichtig für die Stärkung der inneren Widerstandsfähigkeit.

Resilienten Menschen gelingt es außerdem, rechtzeitig und optimistisch den Blick nach vorn zu richten. Wer konstruktiv fragt „Was könnte denn klappen?“ (statt „Nichts geht mehr!“ zu postulieren), offenbart eine Lebenseinstellung, die darauf zählt, dass nach schlechten Zeiten wieder gute kommen.

Neben der beschriebenen Grundhaltung „Was auch kommt, irgendwie werde ich damit umgehen und einen Weg finden.“ teilen resiliente Menschen eine weitere Annahme: Nichts ist für sie selbstverständlich, alles ist möglich.

Überlegungen wie ein „Was wäre wenn…“ und die Betrachtung von Risiken bedeutet nicht, in Pessimismus zu verfallen. Doch wer gedanklich darauf eingestellt ist, dass Pläne hin und wieder geändert werden müssen, dass Probleme auftauchen können, ist, wenn die Krise da ist, weniger überrascht und schneller wieder handlungsfähig.

Was letztlich heißt: Je starrer das Lebenskonzept, je fixer bestimmte Ziele und Pläne, desto störanfälliger sind sie auch. Wer weiß, dass alles auch ganz anders sein kann, wird nicht nur geschmeidiger mit „Störungen“ umgehen, sondern sehr wahrscheinlich die Krise leichter als Tür zu etwas Neuem deuten können.

Krisenbewältigung im Umfeld pastoraler Arbeit

Das Umfeld, Überzeugungen und Erfahrungen – eigene wie „geliehene“ - haben also Auswirkungen auf die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Mitarbeiter/innen in pastoralen Berufen sollten dabei zumindest zwei Aspekte im Blick behalten. Es sind Ambivalenzen, die ihnen die Krisenbewältigung gleichermaßen erleichtern und erschweren können.

Als Berufsgruppe, die mehr als andere mit Menschen in Krisen und mit existenziellen Situationen zu tun hat, mangelt es nicht an Vorbildern, wie Herausforderungen bewältigt werden können. Gleichzeitig besteht das Risiko, angesichts der Sorgen der anderen das eigene Leid zu relativieren und nicht ernst zu nehmen, bis es dann schließlich übermächtig wird. Achtsam mit sich selbst umgehen, heißt hier die Herausforderung.

Angehörige pastoraler Berufe bewegen sich überdies in der Regel in einem Umfeld aus Menschen mit hoher Reflexionsfähigkeit und Beratungskompetenz. Sie sind nah dran an professioneller Unterstützung. Gleichzeitig kann, je nach Art des Problems, die Vermengung von Beruflichem und Privatem die Lage verschlimmern. Nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch das Umfeld riskieren einen Rollenkonflikt.

Gegensteuern kann professionelle Unterstützung von außen: Supervision, Coaching, Lebensberatung. Alles, was hilft, andere Sichtweisen einzunehmen und sich selbst zu hinterfragen, trägt zur Entwicklung und damit zur Stärkung des „seelischen Immunsystems“ bei.

Krise als Chance

Krisen als Chancen verstehen zu wollen, kann schnell zynisch wirken. Es gelingt - wo es gelingt - wohl vor allem aus dem Rückblick heraus. Welche Chancen genau eine Krise bietet, bleibt letztlich so individuell wie die Krise selbst. Die Erkenntnis aber, schon andere Herausforderungen gemeistert zu haben, lässt die seelische Widerstandskraft wachsen. Die größte Chance der Krise liegt damit wohl darin, künftige Krisen besser bewältigen zu können.

Christiane Baer, Change Management und „Chancen Management“ – wie Lebenskrisen die innere Widerstandskraft stärken können, in: Anzeiger für die Seelsorge 1/2014


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