Ganz schön freindlich

Vom unfreundlichen Missbrauch der Höflichkeit

Mein Freund hat eine Exfrau. Die beiden verbindet auch Jahre nach ihrer Rosenkrieg-Scheidung eine tiefe Feindschaft. Ich wüsste nicht, wann sie zuletzt ein Wort miteinander gewechselt hätten. Sämtliche Kommunikation erfolgt schriftlich, gerne auch über Anwälte. Gründe zum Streiten finden sich genug. Umso überraschter war ich, als ich einmal mitbekam, dass mein Mann - gefühlt zeitgleich mit dem letzten Schreiben vom Gericht – eine Geburtstags-SMS mit Glückwünschen von der Ex öffnete, für die er sich prompt höflich bedankte. Auf meine entgeisterte Frage, ob er noch ganz bei Trost sei, antwortete er nur: „Ich bin halt ein freundlicher, höflicher Mensch.“. Dem will ich nicht grundsätzlich widersprechen. Trotzdem zweifelte ich in diesem Fall an seinem Verstand. Ist es ein Ausdruck von Höflichkeit, auf einen floskelhaften Geburtstaggruß ein ebenso floskelhaftes „Danke“ zu erwidern? Mir erschien das zynisch, nicht höflich und schon gar nicht freundlich. Bei genauerem Nachdenken fallen mir viele Beispiele ein, in denen Höflichkeit mindestens zwiespältig ist. Und so frage ich mich: Ist höfliches Verhalten immer auch ein Ausdruck von Freundlichkeit? Oder kann es nicht auch sehr unfreundlich, ja sogar feindlich sein?

Im Allgemeinen beschreibt Höflichkeit ein respektvolles, von Zuvorkommenheit geprägtes Verhalten. Mehr als um gute Manieren oder das Befolgen von Benimmregeln geht es dabei um eine Einstellung, die im Zusammenleben statt auf ungehemmte Umgangsformen auf Rücksicht, Takt und Anstand setzt. Das rückt sie nahe an die Freundlichkeit. Doch anders als diese ist Höflichkeit, deren Ursprung im höfischen Verhalten liegt, geprägt von gesellschaftlichen Normen, sprachlichen Floskeln und Äußerlichkeiten. Während Freundlichkeit für Zuwendung und Verbindung, also Nähe, steht, drückt sich Höflichkeit in besonderem Maße durch respektvolle Distanz aus. Genau diese Distanz und Floskelhaftigkeit machen die Höflichkeit verdächtig.

Laut einer Arbeit der Philosophin Katrin Ankenbrand über den Wandel von Höflichkeit wird die sog. Distanzhöflichkeit nicht nur häufig falsch eingesetzt und infolgedessen als Oberflächlichkeit und Unaufrichtigkeit fehlinterpretiert, sondern auch missbraucht. Alles in allem eine Mischung, die die Tugend der Höflichkeit in Verruf bringt.

Dabei ist Höflichkeit nicht per se unfreundlich, nur weil sie die Distanz wahrt. Im Gegenteil: Höfliche Personen haben im Gegensatz zu sehr direkten, offenen und damit scheinbar aufrichtigen Menschen schlicht einen anderen Blick auf die Welt. Statt in geradezu kindlicher Unbefangenheit von der eigenen Unverdorbenheit auszugehen und alle anderen für stark genug zu halten, auch unschönen Wahrheiten ins Auge blicken zu können, sind die Höflichen eher misstrauisch sich selbst gegenüber. Sie entwickeln Strategien, wie sie andere vor den eigenen Unzulänglichkeiten bewahren können und ziehen deren Verletzlichkeit in Betracht. Wenn Sie mich fragen: Ich halte das für ungeheuer menschenfreundlich.

Anders ist das beim Missbrauch. Höflichkeit kann zur Mauer werden, hinter der man sich verschanzt. Sie kann Aggression sein und als Machtdemonstration zur Waffe werden, etwa wenn aus einer vermeintlich überlegenen Position heraus jovial Hilfe - oder wie im Fall meiner Protagonisten – Deeskalation angeboten wird. Wirklich höflich wäre es, den Schwächeren seine Schwäche nicht spüren zu lassen und diskret zu helfen oder leise erste Schritte zur Versöhnung zu gehen. Stattdessen macht demonstrative Höflichkeit den Feind noch hassenswerter, denn seine Kultiviertheit macht ihn unangreifbar und mächtig.

Um meine Frage vom Eingang zu beantworten: Ja, Höflichkeit kann erkalten zu Förmlichkeit, abgleiten in Unaufrichtigkeit oder missbraucht werden für Machtdemonstrationen. Aber dann ist sie eben keine Höflichkeit mehr, sondern allenfalls eine schlecht verkleidete Unverschämtheit.

Echte Höflichkeit ist freundlich, nicht feindlich, gerade weil sie Distanz wahrt. Auf diese Art gibt sie Raum. Höflichkeit ist freundlich, weil sie diskret dafür sorgt, dass andere vor unreflektierten Äußerungen und Machtdemonstrationen geschützt sind. Sie setzt voraus, dass man über den eigenen Tellerrand blicken und anderen Raum und Wohlergehen zugestehen kann. In einem Konflikt ist das zugegeben sehr schwierig. Erst recht, wenn er soweit gediehen ist, dass man dem anderen den Dreck unter seinen Nägeln nicht gönnt.

Ich würde den beiden so gerne mal sagen, wie kindsköpfig sie sich benehmen. Aber ich versuche, mich höflich zurück zu halten.


Alles zum Thema "Freundlichkeit, Kolumnen" lesen.

Vorheriger BeitragNächster Beitrag