Krasse Lektion

Wie man Freundlichkeit lernen kann

Der Berliner Komiker Kurt Krömer ist der Meinung, dass wir Berliner die Erfinder der Freundlichkeit sind. Der Berliner Senat stimmt dem scheinbar so nicht zu – sonst wären die sog. Freundlichkeitsoffensiven für den öffentlichen Dienst nicht zu erklären. Mit schöner Regelmäßigkeit versucht die Stadt mit Kampagnen à la „Mit Herz und Schnauze“ oder „Berlin kann auch nett!“ ihren Besuchern, irgendwie aber wohl vor allem sich selbst zu beweisen, dass der Berliner an sich ein freundlicher Zeitgenosse ist. Besonders legendär sind dabei die Aktionen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Hier war es eine Erfolgsmeldung, als die Zugabfertiger der U-Bahn, die sog. Bahnhofs-DJs, es schafften, der hingeschnauzten Anweisung „Zurückbleiben!“ ein rotziges „…, bitte!“ anzuhängen.

Als Einheimischer gelingt es mir, solcherart Benehmen als Berliner Nonchalance zu betrachten. Als Person, die sich aber auch regelmäßig über die Grenzen der Stadt hinaus bewegt ist mir jedoch klar: Da ist noch Luft nach oben. Gleichzeitig kommen mir Zweifel, denn: Kann man Freundlichkeit überhaupt lernen?

Glaubt man der Ratgeberliteratur, ist das kein Problem. Etliche Bücher und Webseiten vermarkten Ratschläge, wie man freundlicher wird und was man für eine freundliche und sympathische Ausstrahlung tun kann. Die Tipps ähneln sich meist sehr:

Lächeln ist ganz grundlegend, ebenso wie Augenkontakt und eine offene, zugewandte Körpersprache. Empfohlen wird, jeden Raum mit einem freundlichen Gruß zu betreten und zu verlassen, stets bitte und danke zu sagen und das Gegenüber mit dem Namen anzusprechen. Für Fortgeschrittene ist der Hinweis, kleine, natürlich nur ernst gemeinte Komplimente zu verteilen oder Geburtstage nicht zu vergessen und hierzu Grüße zu verschicken. Neben diesen eher allgemeinen Regeln der Höflichkeit gilt es aber auch, ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken – also z.B. nicht am Handy herumzuspielen, wenn man in einem Gespräch ist – und mit Interesse zuzuhören und Fragen zu stellen.

Ich gestehe, ich gebe das etwas halbherzig wieder – vielleicht spüren Sie ja auch, was ich spüre:

Die Tipps sind nicht falsch, aber irgendwie auch nicht richtig. Bei, „Bitte“ und „Danke“ kommt es sehr auf den Ton an (siehe die BVG!). Das Lächeln muss echt wirken. Und die aufgehaltene Tür oder der Geburtstagsgruß wirken oft blutleer und sind eher Ausdruck einer kühlen Höflichkeit als von aufrichtiger Freundlichkeit. Wir alle kennen die antrainierte Freundlichkeit von Verkaufs- oder Servicepersonal, die uns eher argwöhnisch werden lässt. Denn eigentlich wissen wir ganz genau: Freundlichkeit ist nichts Aufgesetztes. Sie kommt von innen. Freundlichkeit ist eine Tugend und als solche Ausdruck einer Haltung - der Haltung, dem anderen nicht als Feind, sondern als „Freund“ zu begegnen.

Es ist die Gabe, anderen wohlwollend gegenüber zu treten, Respekt zu zollen und Aufmerksamkeit zu schenken. Sie hat mit einer positiven Einstellung zum Leben und zu anderen Menschen zu tun, mit Herzlichkeit und Herzensbildung, mit unserer Liebesfähigkeit. Freundlichkeit fängt bei uns selber an. Erst, wenn wir mit uns im Reinen sind, keinen Mangel empfinden, den wir stopfen müssen, können wir geben.

Die erste Lektion beim Erlernen von Freundlichkeit sollte also sein, sich selbst freundlich zu begegnen. Nicht selbstgerecht und selbstverliebt, aber nett. Mit Geduld, wenn die Dinge nicht auf Anhieb so klappen, wie man es sich vorgestellt hat. Mit Nachsicht angesichts unserer Schwächen. Mit Verständnis für unsere manchmal beängstigenden Bedürfnisse. Wenn uns das bei uns selbst gelingt, kommen das Lächeln und alles andere fast von allein.

Die zweite Lektion ist: Man lernt Freundlichkeit, indem man sie erfährt. Einer muss anfangen und sich mutig vorwagen – auch auf die Gefahr hin, dass die anderen irritiert reagieren.

Wenn der Mann in der U-Bahn Guten Appetit wünscht beim Biss des Sitznachbarn in den müffelnden Döner, wenn die Verkäuferin lächelnd und kommentarlos die größere Kleidergröße in die Umkleidekabine reicht oder der Busfahrer nochmal anhält, um die rennenden Schüler noch einsteigen zu lassen – und das alles, ohne einen schnodderigen Kommentar hinterher zu schicken, der alles wieder zunichte macht – werden auch hartgesottene Rüpel weich.

Es wundert mich nicht, dass die Berliner Kampagnen zur Freundlichkeit bislang wenig gebracht haben. Es ist eine Stadt, in der sich Viele zu kurz gekommen fühlen. Von der so viele etwas wollen, aber erstmal meinen, wenig zu geben zu haben. Und in der das ruppige Image gepflegt wird, obwohl man sich etwas ganz anderes wünscht.

Vielleicht braucht es einfach ein anderes Motto für die nächste Freundlichkeitsoffensive. Mein Vorschlag: „Mit Herz, bitte! Sonst Schnauze!“


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