Seit ungefähr einem Jahr versuche ich, mehr Leichtigkeit in mein vollgepacktes, bisweilen als anstrengend empfundenes, Leben zu holen. Teil dieses Versuchs mehr Unbeschwertheit leben zu können ist es auch, die Leichtigkeit zu erforschen und aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Dabei habe ich festgestellt, dass Leichtigkeit nur schwer zu greifen und kaum festzuhalten ist. Und ich habe erlebt, dass, je mehr ich über Leichtigkeit nachgegrübelt habe, sie für mich in immer weitere Ferne gerückt ist. Überraschenderweise hat sie sich aber gerade dann eingestellt, wenn ich am wenigsten an sie gedacht habe. Angesichts dieser Erfahrungen komme ich nicht umhin zu fragen: Macht es wirklich Sinn, nach Leichtigkeit zu streben? Ist Leichtigkeit vielleicht sogar etwas, das wir nur finden können, wenn wir es vergessen haben?
Am Anfang meiner Überlegungen stand die Erkenntnis, dass Leichtigkeit neben dem Gefühl von Mühelosigkeit vor allem eine Haltung ist. Eine besondere Form von Gelassenheit, die Menschen gestattet, den Dingen nicht (noch) mehr Gewicht zu verleihen, als sie ohnehin schon haben. Eine Haltung, die die Fähigkeit verleiht, die Dinge mit der „richtigen“ Technik zu heben, so dass sie sich ganz leicht anfühlen. Die gut funktionieren kann, aber eben auch jede Menge hartes Training braucht.
Eine zweite Einsicht war, dass es in der Regel schwierig ist, Leichtigkeit „machen“, zu wollen. Gewicht zu reduzieren ist keineswegs einfach und Ballast über Bord zu werfen setzt voraus, dass ich das Gewicht erst einmal über die Reling hebe. Und nicht zuletzt ist es oft so, dass, wo wir es uns selber leicht machen können, ein anderer unsere Last tragen muss – was nicht selten als neue Last auf unsere Seele drückt.
Wieder zeigte sich, dass Leichtigkeit in der Regel mit Anstrengung verbunden und von einer Last kaum zu trennen ist. Wann immer ich bewusst versucht habe, etwas leicht zu nehmen, leicht zu machen, leicht zu denken oder auch etwas Schweres beiseite zu lassen, standen vor dem Moment der Erleichterung Mühe, Druck oder Anstrengung von denen ich mich doch eigentlich befreien wollte. Selten habe ich mich verkrampfter erlebt, selten die Dinge schwerer genommen als bei den Gelegenheiten, in denen ich mir Leichtigkeit verordnet hatte und es nun partout leicht sein lassen wollte. Bewusst Leichtigkeit zu leben hat sich als ungefähr genauso unmöglich erwiesen, wie auf Anordnung spontan zu sein.
Stattdessen habe ich Leichtigkeit entdeckt, wo ich nicht auf sie gefasst war. Etwa, bei einem Trip nach Barcelona, bei dem alles erstmal anders lief als geplant. Hotelzimmer nicht fertig, strömender Regen, falsche Schuhe an den Füßen. Stattdessen ein Glas Cava in der Hand, die entspannteste Plauderei mit meinen Reisegefährtinnen seit langem und drei Stunden Warten ohne zu warten. Oder als sich Kundentermine plötzlich auf wundersame Weise so verschoben haben, dass sie perfekt zueinander passten und mir eine wilde Hin- und Her Reiserei erspart blieb. Oder als sich nach einer langen Bahnfahrt das nicht sehr appetitlich aussehende Tofu-Reis-Experiment meiner Tochter als genau das richtige für meinen knurrenden Magen erwies. Alles kleine Momente, in denen ich befreites Durchatmen, Zufriedenheit und kaum zu beschreibende Leichtigkeit erlebt habe. Alles Momente, in denen ich dafür quasi nichts tun musste, nicht einmal etwas dafür tun konnte.
Ja, man kann - mit einer gewissen Anstrengung - eine Haltung einüben, die zu mehr Gelassenheit und Leichtigkeit führt. Echte, soll heißen „schwerlose“ Leichtigkeit aber kann man nicht machen. Die muss man passieren lassen. Diese „Ur-Leichtigkeit“ hat nichts mit Aktion oder gar mit Leistung zu tun. Sie entsteht im Geschehen lassen. Dazu kommt, dass sie flüchtig ist. Meist erkennt man erst im Nachhinein, dass etwas leicht war. Den leichten Moment kann man nicht packen und festhalten – dann verliert er seine Schwerelosigkeit. Umso mehr gilt es, aufmerksam zu sein für das Feine, Leichte und es zu genießen, wenn es sich einstellt . Damit man sich zu ihm zu gesellen kann. So gesehen, sollte man die Leichtigkeit weder abschreiben und schon gar nicht vergessen. Doch darf man aufhören, ständig an sie zu denken. Ich beschließe das Kapitel Leichtigkeit und lege das Thema ad acta. Damit sie kommen kann, wenn sie will. Sie tut es ja eh.
