Vor ein paar Wochen war ich im Ballett. Es gab Schwanensee. In der Oper war ich auch. Die Zauberflöte stand auf dem Programm. Einem Freund von mir hat die Auswahl dieser Stücke ein schmunzelndes „Ah, leichte Kost.“ entlockt. Ich war ein wenig pikiert. Immerhin redeten wir hier über Ballett und Oper und nicht über den Karnelvalstanzverein und Disneys König der Löwen. Zu meiner Verteidigung führte ich an, dass ich auch schon anderes gesehen und gehört habe. Ich habe mir schon eine Wagner-Oper in der Ur-Inszenierung (drei Stunden ohne Pause!) gegeben und modernes Ballett. Schwanensee und Zauberflöte sind aktuell Ausdruck des Versuchs, meinem Freund die E-Musik (er denkt dabei an „elektronisch“, ich an „ernst“ – für ihn ist Mozart also keineswegs leichte Kost) näher zu bringen. Es bleibt spannend, wie dieser Initiationsprozess ausgeht.... Nicht zuletzt deshalb, weil ich mich inzwischen frage, warum mein Freund die für ihn doch eher schwere Kost eigentlich kennenlernen soll. Warum darf es denn nicht leicht sein? Warum hat mich der saloppe Kommentar über die „leichte Kost“ so getroffen? Warum habe ich mich gemüßigt gefühlt, mich zu verteidigen und zu beweisen, dass ich auch „schwer“ kann? Ist das, was leicht ist, etwa weniger wert?
Wenn ich auf die Arbeitswelt blicke, mit der ich es als Beraterin permanent zu tun habe, drängt sich dieser Verdacht auf. Allerorten werden Ziele vereinbart, die smart sein sollen. Dabei wird das A in smart, das eigentlich für achievable oder acceptable steht, gerne auch mal mit ambitious übersetzt. Ein bisschen ehrgeizig sollen die Ziele bitteschön sein, ein wenig Anstrengung ist schon nötig, um voran zu kommen und die Prämie zu verdienen. Anstrengung ist hier eindeutig an Geld gekoppelt und damit ganz messbar mehr wert als pure Leichtigkeit. Selbst wenn Zielvereinbarungen nicht an monetäre Belohnungen gebunden sind zeigt sich: Derjenige, der seine Ziele nicht erreicht, gilt schnell als „Minderleister“ - und wird in der Regel weniger wertgeschätzt. Auch dort, wo weniger das Ergebnis und eher der Weg im Mittelpunkt steht, gelten Anstrengung und Mühe, die Menschen bereit sind zu unternehmen, als wertvoll. Wer seine Arbeit mühelos und spielend macht, scheint unterfordert, hat wohl noch Kapazitäten frei und darf sich gerne etwas mehr anstrengen. Wer mit Leichtigkeit seine Arbeit macht, wird nicht bewundert, sondern eher verdächtigt, es sich – im schlimmsten Fall auf Kosten der Kollegen – leicht zu machen. Wertvolles Mitglied unserer Arbeitsgesellschaft scheint nur zu sein, wer nicht Dienst nach Vorschrift macht, sondern bereit ist, auch die berühmte extra Meile zu gehen, es sich also eher schwer zu machen.
In der Freizeit setzt sich das fort: Wer abends wie ein Gemüse auf der Couch vor dem Fernseher hängt, gilt als langweilig. Unzählige Helferlein wollen uns stattdessen dabei unterstützen, uns selbst zu optimieren. Ob Wunschgewicht, Mindestschrittzahl oder gesunder Schlaf: Stets geht es darum, uns noch mehr anzustrengen, um irgendwie besser zu werden, uns besser zu fühlen. Kein Wunder, dass so viele müde und erschöpft sind und sich nach Leichtigkeit sehen. Genau diese Sehnsucht wird, quasi als Gegenbewegung, von zahllosen Lifestylemagazinen bedient. Dabei wird das Konzept des einfachen Lebens so exzessiv und penetrant propagiert, dass es geradezu erdrückend ist.
Auch wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der sich Leichtigkeit nicht auszuzahlen scheint spüren wir, dass sie wohltuend ist und durchaus einen Wert hat. Das Leben, das an sich so selbstverständlich und damit eigentlich ganz einfach ist, ist zugleich auch eine Kunst ist. Und die ist unbezahlbar.
Vor allem die stoische Philosophie hat versucht, diese Kunst des Lebens zu lehren. Den Stoikern war die Einfachheit ein hohes Gut. Dinge leicht zu tun, ohne weitere Nebenabsichten, uneitel und lauter, gehört dazu. Nicht zu funktionieren, sondern einfach nur zu sein, sich dem Leben hinzugeben, ist Teil davon.
Dafür möchte ich hier eine Lanze brechen: Wir sollten aufhören, es uns leicht und einfach machen zu wollen und stattdessen anfangen, leicht zu sein. Das soll nicht heißen, dass wir nichts mehr tun und schon gar nicht, dass wir andere unsere Arbeit machen lassen oder uns auf ihre Kosten vergnügen. Ich meine, dass wir uns gestatten sollten, einfach da sein zu dürfen, so sein zu dürfen, wie wir sind.
Zum Beispiel am Ende einer Woche ein bisschen müde und faul, aber auch heiter und gerne etwas angeschickert vom Sekt in der Pause des Balletts. Oder beim Disney-Musical. Oder auf dem Sofa. Und meinetwegen auch beim Karnevalstanzverein. Genauso, wie es eben leicht ist. Das hat sehr wohl einen Wert. Einen unermesslichen.