Neulich war ich zu Besuch auf einer Fuckup-Night. Fuckup – Nights sind Veranstaltungen, auf denen Menschen von unternehmerischen Misserfolgen erzählen. Der Projektleiter berichtet vom an die Wand gefahrenen Projekt, die Jungunternehmerin von abgesprungenen Investoren, die Startup – Clique von fehlgeschlagenen Expansionsversuchen. Der Reiz eines solchen Abends liegt neben dem tröstlichen Gefühl, dass auch anderen Menschen Dinge misslingen in der Möglichkeit, aus Fehlern anderer Lehren für sich selbst zu ziehen. Der Abend war spannend, ich lauschte den Berichten aufmerksam. Und ich bewunderte, wie freimütig und ohne jede Tiefstapelei die Protagonisten von ihrem Scheitern sprachen.
Umso irritierender war es für mich, als am Ende die Veranstalter den „mutigen Organisationen“ für ihre Teilnahme dankten. Ich hatte da einzelne Personen erlebt, die teils geradezu intime Einblicke in ihr Scheitern gegeben hatten. Das war zweifellos mutig. Aber war es deshalb auch die gesamte Organisation? Können Organisationen überhaupt mutig sein? Und wenn ja: Woran würde man das merken?
Die erste Frage lässt sich vergleichsweise einfach mit ja beantworten: Organisationen sind soziale Systeme. Sie entstehen aus dem planmäßigen und zielorientierten Zusammenwirken von Menschen. Interaktion ist ihnen eigen. Genau die kann qualifiziert werden, wenn man mag auch als mutig. Gewiss sind es immer einzelne Personen, die handeln. Ihr Agieren aber ist in ein Umfeld gestellt, das mehr oder weniger Mut zulassen kann. Damit sind es letztlich die strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen, die den Mut – oder auch die Vorsicht – einer Organisation bestimmen. Die Indikatoren einer mutigen Organisation sind folglich in diesen Rahmenbedingungen zu suchen.
Betrachtet man unterschiedliche Definitionen von Mut wird deutlich, dass dieser immer mit Entscheidungen zu tun hat. Elementar ist hierbei das bewusste und gewollte Eingehen einer Gefahr oder eines Risikos. Zu einer mutigen Organisation gehört, dass sie Entscheidungen fällt, mit denen sie sich einem gewissen Risiko aussetzt. Dabei muss es nicht zwingend um ihr Überleben gehen. Wie beim Menschen kann das Risiko auch im Überwinden von alten Mustern, im Gehen des nächsten Entwicklungsschrittes bestehen.
Mutiges Handeln erfolgt immer auf ein bestimmtes „gutes“, als richtig erkanntes Ziel hin. Dabei geht es weniger um ethisch korrekte Ziele, Wertegerüste oder smart formulierte Ziele als um konstruktive Handlungsansätze, die nutzen wollen, was da ist. Die, statt sich an der Risikominimierung abzuarbeiten, ihre Energien darauf verwenden, Chancen und Möglichkeiten auszuloten und schlicht Dinge ausprobieren.
Schließlich benötigt eine Organisation, die als mutig gelten möchte, das Vertrauen, auch Rückschläge verkraften zu können. Ein Indikator dafür ist z.B. der gelassene Umgang mit Fehlern. Sind Fehler Katastrophen oder normale Vorkommnisse in komplexen Situationen, aus denen die Organisation bereit ist zu lernen? Wo Fehler kein Anlass mehr sind, einen Schuldigen zu finden, sondern zum Ansporn werden, Dinge besser zu machen, ist Mut im Spiel.
Die Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen – und zwar nicht erst aus dem Mut der Not und Verzweiflung, sondern aus dem Willen heraus, einen Entwicklungsschritt weiter zu gehen. Ziele und Werte und das Suchen nach Möglichkeiten, diese zu erreichen. Weniger Sorge um die Bedrohung der Ziele, mehr Sorge um Chancen, die eigenen Potenziale auszuschöpfen. Die Bereitschaft, auch angesichts möglicher Rückschläge Entwicklungen anzustoßen. Das Vertrauen auf die „Selbstheilungskraft“ und darauf, dass ein erneuter Anlauf neue Erkenntnisse liefert. Solcherart Rahmenbedingungen ermutigen Mitarbeiter zu ungewöhnlichen Aktionen wie den Fuckup-Nights. Solcherart Rahmenbedingungen machen mutige Organisationen aus.