Mein französischer Friseur Alain ist krank und kann zurzeit nicht arbeiten. Da meine Haare ungeachtet dessen wachsen und ergrauen, musste jemand anderes her, der sich meines Kopfes annehmen konnte. Jeder, der schon mal seine Haare gefärbt hat weiß, wie schwierig es ist, den richtigen Ton zu treffen. Um dem Ersatzmann die Arbeit zu erleichtern, rief ich Alain an und fragte nach dem richtigen Produkt und der passenden Farbmischung. In einem fast einstündigen Telefonat erklärte er mir mit Engelsgeduld (auf beiden Seiten!) alles haarklein und beendete seinen Vortrag mit einem für meinen Geschmack etwas zu mehrdeutigen „Bon courage!“. Hatte er mir für die anstehende Färbeaktion nun „Viel Erfolg!“ oder „Nur Mut!“ gewünscht? Oder sogar beides?
Ich ärgerte mich über Alain, der an dieser Stelle ruhig deutsch hätte sprechen dürfen. Und ich begann mich zu fragen, ob zwischen Erfolg und Mut wohl ein Zusammenhang besteht, den die Franzosen besser auszudrücken vermögen als wir Deutschen.
Braucht man etwa Mut, um erfolgreich zu sein?
Betrachtet man Erfolg ganz neutral als das Erreichen gesetzter Ziele, so hängt es sehr von der Art des Ziels ab, ob Mut für die Zielerreichung nötig ist.
Es gibt Ziele, die sicher verwirklicht werden können, ohne besonderen Einsatz von Mut. Sie können mehr oder weniger gefahrlos erarbeitet werden, so z.B. das Abarbeiten einer To Do-Liste mit Routineaufgaben, deren Erledigung dann ein Erfolg ist. Andere Ziele sind hingegen durchaus an das Eingehen von Risiken und das Überwinden von Widerständen gekoppelt. Hier kann man tatsächlich sagen: Je größer das eingegangene Risiko, desto größer auch der erlebte Erfolg. Das ist zum Beispiel der Fall wenn es darum geht, Ängste zu überwinden oder waghalsige Aktionen wie eine Ein Mann-Weltumsegelung oder eine Bergbesteigung durchzuführen. Hier spielt Mut eine bedeutende Rolle für den Erfolg. Ihm wohnt das Moment der Hoffnung inne und er ist Aktivator. Ohne den Mut als Antriebsfaktor und Gegengewicht zur Angst wären wir schlecht handlungsfähig. So gesehen hat Fontane Recht, wenn er sagt „Am Mute hängt der Erfolg“. Dennoch erscheint mir das zu kurz gegriffen. Ich wage die Behauptung, dass der Zusammenhang zwischen Mut und Erfolg noch vielschichtiger ist.
Erfolg erfordert Mut nicht nur vor seinem Eintritt, quasi als notwendige Bedingung, sondern vor allem auch danach. Hat Erfolg sich erstmal eingestellt hat, braucht es Mut. Mut – auch in Form von Demut – ihn zu bekennen oder anderen zuzugestehen. Erfolg ruft Neider auf den Plan oder Nachahmer. Er kann geschmälert oder lächerlich gemacht werden oder anderen Personen zugeschrieben. Er birgt ein erhebliches Risiko, sehr einsam zu werden, wenn er einmal da ist. Das bewusste Eingehen eines Risikos zur Durchsetzung eines Rechts oder zur Realisierung eines Wertes ist elementar für Mut. Je mehr man Erfolg als Wert betrachtet, je mehr man ihn als Recht beansprucht, desto mutiger muss man sein, wenn man ihn bestätigt und erhalten sehen will.
Doch Erfolg zieht Mut noch auf andere Weise nach sich.
Erfolg kann Mut machen. Angesichts erreichter Ziele fühlen wir uns bestätigt, bestärkt und ermutigt. Zur Wiederholung oder zum Weiterlernen genauso wie zum Loslassen eines Themas. Umgekehrt können Misserfolge uns verzagen lassen und entmutigen. Erfolg bzw. Misserfolg führen zu einer Neubewertung des Risikos und nehmen damit unmittelbar Einfluss auf zwei wichtige Komponenten des Mutes: Die Hoffnung und Zuversicht auf einen guten Ausgang und das Abwägen des Risikos, das zum Handlungsentschluss führt.
Wenn die Franzosen sich also mit „Bon courage“ sowohl Mut als auch Erfolg zusprechen, tun sie das vielleicht viel weniger aufgrund sprachlicher Ungenauigkeit als aufgrund der schillernden Verbindung beider Phänomene.
Mir persönlich hat die schillernde Sinnverbindung ein bisschen zu sehr das Risiko meiner bevorstehenden Farborgie betont. Gott sein Dank ist alles gut gegangen. Das Schillern blieb nur im Wort, nicht in meinen Haaren.